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Das Mädchen in den Wellen

Das Mädchen in den Wellen

Titel: Das Mädchen in den Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Barbieri
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aufgefallen sein sollte: Er macht, was er will«, sagte Nora. »Dass du ihn ja nicht wieder ohne meine Erlaubnis anrufst.«
    »Wieso brauche ich eine Erlaubnis, wenn ich mit meinem Vater sprechen möchte?« Ella nahm das Handy von der Arbeitsfläche und sah Nora herausfordernd an.
    »Leg’s sofort wieder hin.«
    Ella rannte aus dem Cottage, in Richtung Klippe, Nora hinter ihr her. »Ich ruf ihn jetzt an«, rief Ella. »Und du kannst nichts dagegen tun.« Sie stellte sich an den äußersten Rand.
    »Komm von da weg«, forderte Nora sie auf.
    »Nein.« Ella drückte auf die Tasten. »Ich sag ihm …«
    »Was?«
    Ella konnte nichts sagen, was Malcolm dazu gebracht hätte zu tun, was sie wollte; hatte sie das immer noch nicht begriffen? Nora packte Ella mit der einen Hand am Ellbogen und entriss ihr mit der anderen das Handy. Dann schleuderte sie es die Felsen hinunter, auf denen es scheppernd zerbarst.
    »Mom, was sollte das denn?«
    »Es war mein Handy«, herrschte Nora sie an. »Und ich habe beschlossen, dass wir es nicht mehr brauchen. Es bringt mehr Ärger, als es uns nützt.«
    »Du bringst mehr Ärger, als du uns nützt. Ich hasse dich!« Ella rannte zum Cottage zurück.
    Nora, die nicht die Energie aufbrachte, ihr nachzulaufen, sank auf den Felsen. »Ich kann es dir nicht verdenken, Liebes, wirklich nicht«, sagte sie leise.
    Später am Nachmittag trafen sie sich in Cliff House mit Polly und Alison. Alles war so, wie Maire es hinterlassen hatte, ihre Besitztümer, die Souvenirs eines Lebens, ohne den einen Menschen, dem sie am meisten bedeuteten. Nora ließ die Finger über ein Bild auf dem Kaminsims gleiten. Sie hatte keine Fotos von Maire gemacht. Gegen den tiefen Schmerz, den Nora ob ihres Verlusts empfand, gab es kein Heilmittel, nicht einmal die Zeit. Die heilte nicht alle Wunden. Sie machte sie nur erträglicher.
    »Eins nach dem anderen«, sagte Polly und bereitete erst einmal Tee zu, vielleicht weil sie Noras Niedergeschlagenheit spürte.
    »Merkwürdig, ohne sie hier zu sitzen«, bemerkte Nora.
    »Ohne sie ist alles merkwürdig. Molly Creehan bringt ihr Baby auf dem Festland zur Welt. In einem Monat.«
    »Neulich war sie im Laden«, erzählte Alison. »Ganz aufgelöst.«
    »Unsere Maire fehlt so vielen.«
    »Sie ist nicht wirklich weg«, erklärte Annie und trank einen Schluck Cranberrysaft aus einer Teetasse.
    »Wie meinst du das?«, fragte Polly.
    »Ich sehe sie manchmal. Sie ist da und beobachtet uns. Es ist, als ob sie was sagen wollte, es aber nicht kann.«
    »Ich seh sie auch«, gestand Polly mit leiser Stimme. »Komisch, nicht? Vielleicht verläuft die Grenze zwischen den Lebenden und den Toten doch nicht so klar, wie wir meinen.«
    »Hör endlich auf damit«, sagte Ella zu Annie.
    »El.« Nora runzelte die Stirn. »Bitte.«
    Alison zog Gummihandschuhe an und nahm einen Schwamm. »Wo wollen wir anfangen?«
    »Am besten beim Kühlschrank.« Nun sah Nora Maires Listen in neuem Licht. Die Namen und Geburtsdaten, die Adressen und die zu erledigenden Dinge, notiert in Maires gleichmäßiger, runder Schrift. Jetzt waren keine Zettel mehr nötig, weil sie keine Termine mehr einhalten musste. Waren die Geschichten, die sie Nora erzählt hatte, Ausgeburt ihrer Verwirrung gewesen? Was sollte sie glauben? »Sonst wird das Essen darin schlecht.«
    »Der Honig nicht. Der kristallisiert frühestens in einem Jahr«, erklärte Polly.
    Es war schwierig, sich das Leben in einem Jahr vorzustellen. In den vergangenen Wochen hatte sich so vieles verändert.
    »Haben Sie vor zu bleiben?«, fragte Alison.
    Ellas »Nein« duldete keinen Widerspruch.
    Nora schüttelte kaum merklich den Kopf. Darüber konnten sie sich später unterhalten.
    »Es gibt ja immer die Sommer«, sagte Polly.
    Ja, die Sommer der Vergangenheit und der Gegenwart.
    Nora schaute sich in dem Raum um. »Machen wir sauber. Ansonsten lassen wir alles, wie es ist. Wir haben keine Eile.«
    »Stimmt«, pflichtete Polly ihr bei.
    Weil niemand mehr in dem Haus lebte.
    Ella schlich sich unbemerkt von den anderen hinaus, marschierte an der verkrüppelten Kiefer vorbei, am Lerchennest und den verhedderten Fischernetzen mit den hohlen Plastikkugeln, die Dinge über Wasser halten sollten, jedoch geplatzt und somit nutzlos waren. Sie blickte zurück. Ausnahmsweise war Annie ihr nicht gefolgt. Annie, die ihr immer nachlief wie ein Hündchen, eine kleine Schwester, ein kleines schlechtes Gewissen. Ella wollte sie jetzt nicht dabeihaben, weil man sich nicht darauf

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