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Das Mädchen in den Wellen

Das Mädchen in den Wellen

Titel: Das Mädchen in den Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Barbieri
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Lehrerin ist fast an mir verzweifelt. Das kann ich ihr nicht verdenken, denn ich bin nicht gerade bekannt für meine Anmut. Ich habe zu weinen angefangen, und einige der Mädchen haben mich ausgelacht. Maire hat ihnen gesagt, sie sollen aufhören, und meine Hand genommen. ›Achte gar nicht auf sie. Ich zeig dir, wie’s geht.‹ Nach der Stunde ist sie noch mit mir dageblieben und hat es mir so lange vorgemacht, bis ich den Dreh raushatte.
    Familie und Freunde waren ihr Ein und Alles. Dazu die Insel und das Meer. Sie hat unsere besten Seiten zum Vorschein gebracht. Unser Wesen …«
    Noras Gedanken schweiften ab. Abgesehen von den Mädchen neben ihr, die die Köpfe an ihre Schulter lehnten, erschien ihr nichts real.
    »Können wir gehen?«, fragte Ella und zupfte an ihrem Ärmel wie früher als kleines Mädchen. »Ich will hier weg.«
    »Ich weiß.« Nora strich ihr übers Haar. »Wir haben’s gleich geschafft.«
    Die Trauerfeier, ja, aber nicht das, was danach kommen würde.
    Sie gingen hinaus, vorbei an denen, die wie die Connellys flüsterten, Nora habe es nur auf Maires Grund abgesehen, vorbei an anderen, die ihr sagten, sie sehe wie Maire und Maeve aus, und ihr voller Mitgefühl die Hand drückten. In der letzten Reihe Malcolm im schwarzen Anzug wie vor Gericht. Nora bemerkte, wie Owen Malcolm musterte, bevor er sich abrupt abwandte und die Kirche verließ.
    Malcolm verstellte ihr den Weg, bevor sie Owen folgen konnte.
    »Was machst du hier?«, fragte sie. Wann hatte er sich hereingeschlichen? Er schlich sich immerzu in ihr Leben und dann wieder hinaus. Ausgerechnet jetzt.
    »Ich habe gehört …«
    Sie musste nicht fragen, von wem. Ella. »Du hättest nicht kommen sollen. Das hier ist eine Familienangelegenheit.«
    »Doch. Er muss dabei sein«, widersprach Ella, die es nicht überraschte, dass er da war.
    »Ich gehöre zur Familie«, erinnerte Malcolm Nora.
    Nein, dachte sie. Die Insel war ihr Ort mit ihren Menschen, nicht der seine.
    »Ihr seid mir nach wie vor wichtig. Wie kannst du nur glauben, dass ich mir nichts mehr aus euch mache?«, fragte er.
    Nora spürte die Blicke der Leute auf sich, neugierige Blicke. Sie schien wie ihre Mutter eine Begabung für dramatische Auftritte zu besitzen.
    Ich möchte nicht, dass du dir etwas aus uns machst! Und doch wünschte ein Teil von ihr sich genau das. Der Teil, der nach wie vor mit ihm verbunden war, der nicht loslassen konnte.
    Draußen hatte sich eine kleine Gruppe von Trauernden versammelt. Die Zeremonie am offenen Grab zog wie hinter einer Nebelwand an Nora vorüber. Die Schaufel scharrte Erde aus dem Boden und ließ sie auf den Sarg rieseln, von den Birken regneten Blätter auf das Grab herab. In der Ferne rauschte das Meer. Dort hätte Maire sein sollen, dachte Nora, auf einem Boot in der Strömung. Nicht hier bei den leeren Gräbern ihrer Familie – ihre Schwester, ihr Mann und ihr Sohn, alle verschollen. Bloße Erinnerungsstätten.
    Nora bekreuzigte sich und neigte das Haupt. Gebete boten wenig Trost.
    Polly nahm die Mädchen an der Hand und führte sie in den Gemeindesaal. »Jetzt gibt’s Kuchen.«
    »Ist es Tante Maire recht, wenn wir Kuchen essen?«, fragte Annie.
    »Ja, natürlich, besonders Schokoladenkuchen.«
    Beim Verlassen des Friedhofs legte Malcolm die Hand auf Noras Arm. »Lass dir ein paar Tage Zeit«, sagte er.
    »Wie großzügig von dir.« Sie schüttelte seine Hand ab.
    »Die Sache mit den Papieren hat keine Eile.«
    »Das Thema bringst du jetzt auf? Wie sensibel.«
    »Ich wollte nur sagen: Hoffentlich ziehst du es in Erwägung, nach Hause zu kommen, wenn das hier vorbei ist.«
    »Wohin?«
    Seine Stimme wurde leise. »Nach Boston. Das soll nicht heißen …«
    Wieder eines seiner Ausweichmanöver. »Natürlich nicht. Aber ich würde auf keinen Fall zustimmen.«
    »Ich liebe dich. Es ist möglich, mehr als einen Menschen gleichzeitig zu lieben. Die Trennung bedeutet noch lange nicht, dass ich mir nichts mehr aus dir mache.«
    »Nein, doch du bestimmst, wie.«
    Nach einem stummen Blick marschierte Malcolm zu seinem Wagen, der vor dem Tor parkte. Sie hörte den Autoalarm und einen gedämpften Fluch, als er merkte, dass etwas nicht stimmte – ein Kratzer im Lack vielleicht. In solchen Dingen war er eigen. Sie machte sich nicht die Mühe nachzusehen. Es war sein Problem. Er schlug die Tür zu, ließ den Motor an und fuhr mit quietschenden Reifen, eine Staubwolke aufwirbelnd, davon.
    Aus dem Gemeindesaal drang Stimmengemurmel zu Nora.

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