Das Maedchen mit dem Flammenherz
ihre Freundin war. Was wusste sie, das Finley nicht wusste? Hatte Griffin ihr von der Unterhaltung erzählt?
»Es heißt, letzte Nacht habe es auf der Freiheitsstatue einen Lichtblitz gegeben«, verkündete Sam, als sein Blick auf die Titelseite der Times fiel. »Hat es jemand gesehen?«
Griffin schien sich sehr darüber zu amüsieren und lachte überdreht, wie Finley es manchmal tat, wenn sie zu wenig Schlaf bekommen hatte.
»Also, eigentlich …« Emily warf Griffin einen Blick zu, als hätte er den Verstand verloren.
»Wahrscheinlich nur ein Fehler im Mechanismus der Laterne in der Fackel«, fiel Griffin ihr ins Wort. Auf einmal war er wieder völlig ernst. »Es wundert mich, dass es nicht schon öfter passiert ist.«
Sam zuckte mit den Achseln. »Kann gut sein. Nenn mich paranoid, aber jedes Mal, wenn etwas Ungewöhnliches passiert, rechne ich damit, dass es das Werk eines Schurken ist.«
»Du bist paranoid«, erwiderte Griffin grinsend. »Ich wette, die Fackel wird heute Abend wieder leuchten, und niemand wird mehr darüber nachdenken.«
Abgesehen von ihr selbst, dachte Finley, während sie sich zwei Stücke Toast von der Warmhalteplatte nahm. Wer diese Platten auch erfunden hatte, man sollte ihn zum Ritter schlagen. Tat man das auch in Amerika? Nein, wahrscheinlich nicht.
Emilys erschrockener Blick, als Griffin sie unterbrochen hatte, war ihr nicht entgangen. Also wussten sie und Griffin, was am vergangenen Abend da draußen auf der Insel passiert war. Warum aber die Heimlichtuerei?
Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Es lag an Griffin. Er hatte am vergangenen Abend kurz davor gestanden, die Kontrolle über seine Fähigkeiten zu verlieren, und zwar ihretwegen. Irgendwie war er zur Statue gelangt oder hatte etwas mit ihr getan und den Blitz ausgelöst.
Sie starrte ihn an. »Ich muss mich bei euch entschuldigen«, platzte sie heraus.
Drei Augenpaare richteten sich auf sie. Ihre Wangen waren heiß wie frisch gebrühter Tee. »Ich hätte Emily nicht nach Five Points mitschleppen dürfen, um Informationen über Dalton zu bekommen. Ich hätte Sam und Griffin etwas von den Kämpfen sagen müssen. Es tut mir leid.«
Sam nahm sich noch etwas Wurst. »Ich bin der Letzte, der dir deshalb Vorwürfe machen würde.« Es war kein Geheimnis, dass auch er immer wieder auf eigene Faust losgezogen war, doch das schien sich nach dem Kampf mit dem Maschinisten gelegt zu haben.
»Es hat doch Spaß gemacht«, warf Emily ein wenig trotzig ein.
»Ja, das schon.« Sam wedelte beim Sprechen mit dem Messer. »Aber du musst vorsichtig sein. Das hier ist nicht London, und die Banden sind wirklich gefährlich.« Schon die Tatsache, dass er nicht versucht hatte, Emily in ihrem Zimmer einzusperren, zeigte, wie sehr er sich verändert hatte. Finley ahnte, wie schwer es ihm fiel, die Beschützerrolle aufzugeben.
Emily warf ihm einen Blick aus dem Augenwinkel zu. »Ich bin Irin, Sam Morgan. Die meisten dieser Banden bestehen ebenfalls aus Iren.«
»Aber die anderen nicht.« Griffin rieb sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Für einige von ihnen ist nur ein toter Ire ein guter Ire, und alle hassen die Engländer. Deshalb wird niemand mehr allein herumlaufen. Ist das klar?«
Die anderen beiden nickten. Finley begriff, dass die Bemerkung vor allem auf sie gemünzt war, aber sie schluckte es kom mentarlos. Schließlich hatte er recht. Sie waren nicht in London, und in dieser Stadt schwebten sie alle in Gefahr.
»Gut.« Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und griff nach der Kaffeetasse. »Finley, du hast heute Abend eine Verabredung mit Dalton, ist das richtig?«
Sie kaute und schluckte einen Bissen Ei herunter. »Ja, aber ich glaube, das Essen ist nur der Vorwand. Ich nehme an, ich soll mich seinem Unternehmen anschließen. Er mag grobe Mädchen.«
»Zweifellos will er dich verführen«, überlegte Griffin. Als Finleys Wangen rot anliefen, fügte er hinzu: »Natürlich will er dich vor allem in die Bande bekommen. Er wird sicherlich keine Zeit verschwenden, nachdem er gesehen hat, wozu du fähig bist.«
Das kam praktisch einem Waffenstillstandsangebot gleich, und sie war froh darüber. Sie mochte ihn sogar, weil er es ihr nicht zu leicht machte.
Natürlich war es wenig hilfreich, sich in Griffin zu verknallen. Ein Herzog musste eine Frau heiraten, die aus seinen eigenen gesellschaftlichen Kreisen stammte – nicht dass Finley ihn überhaupt hätte heiraten wollen! Aber sie mochte ihn nun einmal, und deshalb
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