Das Maedchen mit dem Flammenherz
denn sie stieg vor ihm auf und legte sich den zweiten Gurt um die Hüften. Zu guter Letzt setzte sie sich noch eine Fliegerbrille auf. »Halt dich fest, Junge.«
Der Propeller über seinem Kopf drehte sich knatternd. Griffin hielt sich vorsichtshalber an der Säule fest und ließ ein wenig von seiner Kraft in das Metall übergehen. Wenn er mechanische Geräte einfach aktivieren konnte, dann durfte man annehmen, dass er auch ihre Kraftentfaltung verstärken konnte, sobald sie liefen. Vielleicht half ihm die kleine Entladung sogar, früher wieder die Kontrolle zurückzugewinnen.
Der Propeller drehte sich so schnell, dass er aus einem Stück zu sein schien. Die Maschine hob vom Balkon ab und flog mit einem Ruck los.
Griffin blickte an seinen herabhängenden Füßen vorbei auf die nächtliche Stadt. Ringsherum und tief unter ihnen blinkten die Lichter von Manhattan Island. Der Wind fegte ihm durch die Haare und trieb ihm die Tränen in die Augen. Bald konnte er kaum noch etwas sehen. Er musste Emily bitten, noch einmal mit ihm zu fliegen, wenn er es wirklich genießen konnte.
Als sie kurz darauf über das Wasser flogen, kühlte sich der Wind ab. Es ging in Richtung Bedloe’s Island, wo die Freiheitsstatue stand.
Emily brachte sie so nahe wie möglich an die Fackel heran. »Du musst jetzt springen«, rief sie. »Pack die Fackel und lass los!«
Griffin löste den Gurt und ließ sich auf einen Vorsprung hinabsinken, auf den Balkon, der die Fackel umgab. Das Licht war so hell, dass es ihn fast blendete und den dumpfen Schmerz hinter seinen Augen verstärkte. Er verstand nicht, warum Emily ihn nicht einfach am Strand abgesetzt hatte. Vielleicht fürchtete sie, er könne ertrinken. Jedenfalls war er froh, so weit von anderen Menschen entfernt zu sein.
Er wartete, bis der Lärm des Propellers verklungen war – Emily war so klug, sich möglichst weit zu entfernen –, ehe er die Hand an den Fuß der Lampe legte, die den Eindruck einer brennenden Fackel erweckte. Er konzentrierte sich völlig auf die Fackel und die Birne.
Dann gab er die Energie frei, die sich in ihm aufgestaut hatte. Während der heftigen Entladung legte er den Kopf in den Nacken und kreischte. Einen Moment lang schien es ihm sogar, als käme Licht aus seinem Mund, und er lenkte alles in die Fackel und die Statue. Es strömte aus ihm heraus und ließ sich nicht mehr halten.
Es gab einen gewaltigen Blitz – dann wurde es schwarz.
Am nächsten Morgen schlug Finley nach einer unruhigen Nacht die Augen auf. Sie hatte bestenfalls vier Stunden geschlafen. Die übrige Zeit hatte sie über Griffin nachgedacht, über die schrecklichen Dinge, die sie einander an den Kopf geworfen hatten, und daran, dass sie ihn gereizt hatte, bis seine Kräfte erwacht waren.
Sie hätte ihn nicht verspotten sollen. Eigentlich hatte sie es auch gar nicht gewollt, auch wenn sie nicht sicher sagen konnte, was sie denn tatsächlich beabsichtigt hatte.
Inzwischen schämte sie sich dafür, dass sie in den paar Wochen, die sie ihre neuen Freunde kannte, mehrmals auf eigene Faust gehandelt hatte. Sie hatte sich davongestohlen, um Jack Dandy zu besuchen, was zu einer seltsamen, erotisch aufgeladenen Freundschaft geführt hatte. In einer Nacht war sie verschwunden und konnte sich nicht mehr erinnern, wo sie gewesen war, und in dieser Nacht war Lord Felix, der Sohn ihres früheren Arbeitgebers, gestorben. Nicht einmal sie selbst konnte mit letzter Sicherheit behaupten, ihn nicht getötet zu haben. Glücklicherweise war sie aber von jedem Verdacht reingewaschen worden. Später hatte sie Sam verfolgt, ohne jemand anderem Bescheid zu sagen, und war mit ihm in eine Schlacht mit einem Automaten geraten, in der sie beide hätten sterben können.
Noch schlimmer – sie war auf die Idee gekommen, sich an den Kämpfen der vergangenen Nacht zu beteiligen, nur um Griffin eins auszuwischen. Um ihm zu beweisen, dass sie dazu imstande war. Aber warum? Nur weil er sie wütend, glücklich und nervös machte, alles im selben Augenblick. Und auch wenn ihr Plan funktioniert hatte – sie hätte der ganzen Gruppe Bescheid geben müssen, statt nur Emily einzuweihen. Sie hatte das Mädchen und sich selbst einem unnötigen Risiko ausgesetzt.
Früher hätte sie so ein Verhalten ihrem dunkleren Selbst zuschreiben können, aber das war nicht mehr möglich. Griffin hatte ihr geholfen, die beiden Seiten zu vereinen, und jetzt war sie nicht mehr entweder das eine oder das andere, sondern beides. Die
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