Das Maedchen mit dem Flammenherz
fühlte sich piekfein. »Ja, ich benötige tatsächlich eine Droschke. Ob Sie so freundlich sein könnten, ein passendes Gefährt für mich zu ergattern?« Sie redete sogar schon piekfein.
Der junge Mann erwiderte, dass er dies tun könne, und eilte davon. Sie wartete etwas abseits in der Hotelhalle und beobachtete die anderen Gäste, die sich auf den Weg zu ihren Abendunterhaltungen machten.
Ein vornehmer Gentleman erregte ihre Aufmerksamkeit. Er stand mit dem Rücken zu ihr, und sie bewunderte die breiten Schultern, die sich unter dem teuren schwarzen Jackett abzeichneten, seine beeindruckende Körpergröße und die Art, wie das Licht den roten und goldenen Glanz seines Haars zur Geltung brachte. Als hätte er ihren Blick bemerkt, drehte er sich auf einmal um und erwiderte ihren Blick.
Es verschlug ihr den Atem. Griffin.
Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte sie bemerkt, wie gut er aussah, und davor hatte sie Phoebe, eine ehemalige Bekannte, über ihn reden hören. Alle jungen Damen bewunderten ihn. Vielleicht war es das Licht oder die gefährliche Situation, in die sie sich gleich begeben würde; jedenfalls hatte sie ihn noch nie so hinreißend gefunden wie in diesem Augenblick in seiner schwarzen und weißen Abendgarderobe, das dichte Haar aus dem anziehenden Gesicht zurückgekämmt. Seine graublauen Augen wirkten belustigt.
Sie dagegen sperrte den Mund auf wie eine alte Tür, die nicht mehr in den Rahmen passte.
Das war der wahre Duke of Greythorne. Kein Wunder, dass die jungen Damen über ihn tuschelten. Finley musste zugeben, dass sie Griffin oft anziehender fand, wenn er ein wenig ungepflegt war, aber diese perfekt sitzende Kleidung, die Art, wie er dastand und den Kopf hielt – das hatte etwas. Er strahlte Macht und Autorität aus. Selbstvertrauen, aber keine Überheblichkeit.
Nun dämmerte ihr auch, was er und Jack gemeinsam hatten. Sie mochten sich selbst. Sie kannten ihre eigenen Stärken und Schwächen und hatten mit sich selbst Frieden geschlossen. Finley beneidete die beiden Männer und empfand Hochachtung für sie.
Sie wusste immer noch nicht, wo ihre eigenen Stärken lagen, und wenn man von bloßer Körperkraft absah, war sie sogar ziemlich sicher, dass die Schwächen überwogen. Eines Tages … eines Tages würde sie sich vielleicht in der eigenen Haut wohlfühlen. Heute ging es ihr ja immerhin schon besser als noch vor zwei Monaten. Auch das hatte sie zum Teil dem Prachtexemplar zu verdanken, das auf der anderen Seite des Foyers stand.
Als Griffin ihr ein Lächeln schenkte, wandte sie rasch den Blick ab. Sie war verlegen und hatte Angst, er könne irgendwie ihre Gedanken und Gefühle erraten. Sie wollte mehr wie er sein. Sie wollte sich selbst mögen. Aber zuerst musste sie sich selbst kennenlernen.
Aus dem Augenwinkel beobachtete sie ihn, als er das Hotel verließ. Dann sah sie durch die Scheiben, wie er in eine vornehme Kutsche stieg, die von zwei glänzenden Messingpferden gezogen wurde. Irgendjemand hatte ihm ein privates Fahrzeug geschickt, damit er keine Droschke mieten musste. Wie schön.
Sobald Griffins Fahrzeug abfuhr, trat Finley in die Abendluft hinaus. Auf sie wartete natürlich keine private Kutsche. Es war schwer, sich den Neid auf Griffin zu verkneifen, als sie in die Kabine stieg, die nach Rauch und Schweiß roch.
Wie die meisten modernen Städte war New York recht schwül – die Luft war erfüllt von dem Dampf der Fabriken, Fahrzeuge und Automaten. Im Winter kroch einem die feuchte Kälte in die Knochen. In den wärmeren Monaten drang die Feuchtigkeit bis auf die Haut durch, sodass man meinen konnte, die Menschen hätten angekleidet gebadet. Glücklicher weise war es ein kühler Abend, also musste sie sich keine Sorgen machen, dass ihre Kleidung am Körper klebte.
Sie gab dem Kutscher die Wegbeschreibung und lehnte sich zurück, als das Pferd antrabte. Ihr Fahrzeug wurde von einem richtigen Pferd gezogen, das die Gerüche in der Kabine um seine eigenen bereicherte. Sie blickte durchs Fenster zu der vorbeiziehenden Stadt hinaus.
New York war ein neuer Ort und vielleicht ein wenig moderner, aber das Leben hier verlief mehr oder weniger wie in London. Die Reichen mischten sich so selten wie möglich unter die Armen, aber manchmal blieb ihnen eben nichts anderes übrig. Die Habenichtse waren stets zahlreicher als die Wohlhabenden, wie sie am Tag zuvor auch in Five Points beobachtet hatte. Die Gegend konnte sich mit jedem Londoner Elendsviertel messen.
Die Scheinwerfer
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