Das Maedchen mit dem Stahlkorsett
»Anscheinend kann ich im Dunkeln ganz gut sehen«, informierte sie ihn mit einem iro nischen Lächeln. »Ich lerne jeden Tag etwas Neues über mich.«
Gibt es denn überhaupt etwas, das sie nicht kann?, fragte sich Sam verbittert. Er hätte sich nicht gewundert, wenn ihr Flügel aus dem Hintern gewachsen wären und sie abgehoben hätte.
Sie mussten sich durch eine improvisierte Barriere zwängen, die normale Bürger von der Baustelle fernhalten sollte. Inzwischen stand die Sperre erheblich weiter vom Eingang entfernt auf den Schienen als noch vor sechs Monaten. Irgend wie fand Sam diese Veränderung beruhigend.
Emily sah sich über die Schulter um. »Alles in Ordnung, Sam?«, fragte sie leise.
Sie meinte natürlich seine innere Verfassung, da er an den Ort zurückkehrte, der ihm so viele Albträume beschert hatte. Eine vertraute Verärgerung erwachte in ihm. Wahrscheinlich würde sie ihn als Nächstes fragen, ob sie ihm nicht die Windeln wechseln sollte.
Andererseits war ihm klar, dass sie ehrlich um ihn besorgt war, und er wollte nicht schroff reagieren, nachdem ihre Beziehung einen solchen Rückschlag erlitten hatte.
»Es geht mir gut«, erwiderte er. Völlig gelogen war es nicht. Er war so angespannt wie eine Pfundnote zwischen zwei Bankiers, doch das ließ sich ertragen. Die Angst lähmte ihn nicht, und er hielt nicht jeden Schatten für einen Tunnelbauer, der ihn angreifen wollte.
Der Gedanke an den Tunnelgräber weckte die Erinnerungen an sein Verhalten am vergangenen Tag. Wenn sie die Tür des Tresors offen gelassen hätten, dann hätte er Finley nicht angegriffen. Wahrscheinlich hätte er sich in die Hosen gemacht und wäre nicht im Traum auf die Idee gekommen, jemandem wehzutun. Wie furchtbar, sich so etwas zu wünschen. Es war ein Beweis dafür, wie dringend er zurückspringen und alles ungeschehen machen wollte.
Auch Griffin betrachtete ihn, sagte aber nichts. Anscheinend wollte sich sein Freund nur vergewissern, ob er wirklich wohlauf war, kannte ihn aber gut genug, um sich eine direkte Frage zu verkneifen. Griff kannte ihn sogar viel zu gut. Wenn sie ihn behandelten wie ein Baby, würde er durchdrehen. Also nickte er knapp und zeigte damit, dass er sich mit der Aufgabe nicht überfordert fühlte.
Nachdem sie fast eine Viertelstunde gewandert waren, fanden sie die richtige Stelle. Sam erkannte sie als Erster. Eigentlich gab es hier gar nichts Besonderes zu sehen – es war nur ein kleiner Abschnitt eines langen Tunnels, wo die Gleise einer neuen U-Bahnlinie verlegt wurden. Er erinnerte sich jedoch an den kleinen Rest einer römischen Mauer, der bei den Arbeiten freigelegt worden war. Der Stein hatte sich im Laufe der Jahrhunderte dunkel gefärbt, Staub hatte sich darauf abgelagert. Während sein Blut auf den Boden gelaufen war, hatte er die Mauer angestarrt. Nicht weit von ihm war der Automat gestürzt. Er erinnerte sich noch daran, dass er sich gefragt hatte, ob der Himmel so hübsch war wie das kleine Stück eines Gemäldes, das er auf der römischen Mauer erkennen konnte.
Er blieb stehen, während die anderen nach Spuren suchten, und ließ den Strahl der Handlampe hierhin und dorthin wandern. Er suchte nach Blut, konnte aber Gott sei Dank keins finden. Es war alles gesäubert oder während der Bauarbeiten einfach im Staub versunken. Wie viele Arbeiter waren wohl über den roten Fleck gelaufen und hatten kleine Partikel von ihm mit den Stiefeln verteilt?
»Achtet auf Tunnel, die nicht so aussehen, wie sie aussehen sollten«, wies Griffin sie an. »Oder Schutthaufen, die einen Zugang verbergen könnten. Es dürfte nicht leicht zu finden sein, der Maschinist ist gerissen.«
Der Maschinist. Fünf Minuten allein mit diesem Mistkerl, und seine Stimmung würde sich deutlich bessern.
Sein Herz – es war so gut wie neu – pochte in der Brust. Er legte die Hand darauf, verachtete sich selbst für seine Angst und freute sich über die Regelmäßigkeit der Schläge. Auch wenn Metall das Blut durch seinen Körper pumpte, er war immer noch am Leben, er war ein Mensch. Er hatte Dinge überstanden, die jeden außer Finley umgebracht hätten. Darauf konnte er doch eher stolz sein, statt es als einen Fluch zu empfinden.
In letzter Zeit hatte er viele Einsichten, und so schien es ihm nur passend, dass der Strahl seiner Lampe auf einem großen Steinhaufen verharrte, der dicht vor ihm an der Wand aufgetürmt war. Damit stimmte etwas nicht, er wirkte nicht echt.
Er ging zu dem Schutthaufen und hatte
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