Das Maedchen mit dem Stahlkorsett
bitte herauf.«
So langsam fühlte Sam sich wie eine Trittleiter, doch er hielt den Mund, während er Emily und Jasper nach oben half. Dann kletterte er an der Wand empor, stützte sich an vorstehenden Steinen ab und sprang, bis er sich an der Kante festhalten und sich hinaufziehen konnte.
Er befand sich in einem großen Salon, neben dessen Reichtum das Greythorne House wie eine bescheidene Hütte wirkte. Finley, Jasper und Emily standen dicht beieinander und starrten mit offenem Mund Griffin an, der mit einer älteren, schwarz gekleideten Frau sprach.
Sam klopfte sich die Erde von der Jacke und ignorierte die empörten Blicke der anderen drei. In einem so prächtigen Haus musste es doch wohl Angestellte geben, die ein wenig Dreck entfernen konnten.
»Und wer ist dieser junge Mann?«, fragte die alte Dame.
Sam öffnete den Mund und hielt gleich wieder inne, als ihm dämmerte, wer die alte Frau war.
»Sam Morgan, Hoheit«, sagte Griffin.
Verdammt auch. Es war Königin Victoria. Sie hatten sich gerade in den Buckingham-Palast durchgegraben.
»Ich kann gar nicht glauben, dass ich der Königin begegnet bin!«, platzte Emily heraus, als sie vom Palast zu ihren Velos zurückkehrten.
»Ich wäre ihr lieber mit sauberen Haaren unter die Augen getreten.« Das Entsetzen, dass sie im Salon der Königin wie ein Nagetier durch den Boden emporgekrochen war, würde Finley ihr Leben lang nicht mehr loslassen.
Trotzdem, es war aufregend gewesen, die Frau kennenzulernen, die das ganze britische Empire beherrschte. Sie hatte angenommen, Victoria sei größer.
Griffin hatte bisher geschwiegen. Ihre königliche Hoheit hatte ihnen eine Kutsche angeboten, doch Griffin hatte das großzügige Angebot ausgeschlagen und gesagt, sie hätten die Königin schon mehr als genug belästigt.
Natürlich hatten sie erzählen müssen, wie sie dorthin gelangt waren. Man konnte nicht durch einen Geheimgang in die Gemächer der Königin eindringen, ohne ihr zu verraten, wie es dazu gekommen war. Im Grunde hätte Victoria sie alle ins Gefängnis stecken können. Also hatte Griffin ihr erzählt, wie sie den Gang gefunden und was sie überhaupt in den Tunneln gesucht hatten. Die Königin war, um es vorsichtig auszudrücken, äußerst besorgt gewesen, besonders als Griffin ihr erzählt hatte, dass seiner Ansicht nach der Maschinist den Gang gegraben und die Haarbürste aus dem Museum entwendet hatte. Er hatte gefragt, ob sonst noch etwas aus dem Palast verschwunden sei. Der Königin war bislang nichts darüber bekannt, doch sie wollte sich bei ihrem Personal erkundigen.
Als sie sich verabschiedeten, hatten Arbeiter bereits damit begonnen, das Loch zu verschließen und den Boden zu repa rieren. Finley war sicher, dass der Tunnel spätestens am folgenden Tag unpassierbar wäre. Das war gut, denn dadurch verlor der Maschinist den Zugang zum Palast.
Nachdem sie lange mit der Königin gesprochen hatten, wirkte Griffin geradezu eingeschüchtert und lief mit gerunzelter Stirn und tief in die Taschen des langen grauen Übermantels geschobenen Händen neben seinen Freunden her. Seine Kleidung war nach dem Abenteuer ein wenig schmutzig, doch ein geschicktes Dienstmädchen konnte das leicht in Ordnung bringen. Finley fragte sich, was ihn wohl so sehr beschäftigte.
Schließlich lief sie neben ihm und überließ es den anderen dreien, sich über den Palast zu unterhalten. Die jüngsten Ereignisse waren so aufregend, dass die Spannungen zwischen ihnen völlig vergessen waren. Sam lachte sogar über etwas, das Jasper gesagt hatte. Emily lief natürlich zwischen den beiden – ein Kätzchen und zwei Kater.
»Worüber denkst du nach?«, fragte sie.
Griffin warf ihr einen Blick zu, als sei er überrascht, sie an seiner Seite zu finden. »Etwas, über das ich lieber nicht nachdenken würde, aber es beschäftigt mich und lässt mich nicht los.«
So ernst hatte sie ihn in der zugegebenermaßen kurzen Zeit, die sie einander kannten, noch nie reden hören. Was ihn auch beschäftigte, es musste etwas sehr Beunruhigendes sein.
Sie hätte ihn weiter gedrängt, hätten sie nicht gerade die Velos erreicht. Finley setzte ihr Fahrzeug in Gang und fuhr mit den anderen zurück nach Mayfair. Die Straßen waren voller Adliger, die wie jeden Tag um fünf Uhr zum Hyde Park strömten, um zu sehen und gesehen zu werden. Sie ritten auf Pferden oder fuhren mit Kutschen. Es war eine Stunde der Muße, und dazu waren die modernen Verkehrsmittel viel zu schnell. Es kam ja vor allem
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