Das Maedchen mit dem Stahlkorsett
erste Mal. Ich versuche, mich dessen würdig zu erweisen.«
Das schien sie milder zu stimmen – nicht sehr, aber es war ein Anfang. Sie ließ die Arme sinken. »Tu das, mein Junge.«
Sie setzten sich, Sam auf seinen gewohnten Platz neben Emmy und Finley ihm gegenüber. Es war nicht der angenehmste Platz, aber er war froh, überhaupt wieder bei seinen Freunden zu sitzen. Griffin informierte ihn über die jüngsten Entdeckungen.
»Der Maschinist ist für den Tod deiner Eltern verantwortlich?« Beinahe wäre ihm der Unterkiefer auf den Tisch gefallen. »Bist du sicher?«
»Sehr sicher«, entgegnete Griffin. »Ich werde mehr erfahren, wenn Tante Cordelia heute Nachmittag aus Devon zurückkehrt.«
Es schien zu fantastisch, um es zu glauben – wie ein Abenteuer aus den Romanen über Helden und teuflische Schurken, die er so gern las. »Wir gehen später in die Tunnel«, erklärte Griffin. »An die Stelle, wo wir den Tunnelbauer gefunden haben. Bist du dazu bereit?«
Wenn er ehrlich war, hätte sich Sam lieber das mechanische Herz aus der Brust gerissen und darauf herumgetrampelt, statt an diesen dunklen, schrecklichen Ort zurückzukehren.
»Das kann ich«, antwortete er entschlossen und rieb sich gedankenverloren über die Hand, in der Knochen aus Metall steckten. Er suchte den scharfen Blick seines Freundes. »Und ob ich das kann.«
Danach redeten sie kaum noch. Zwar hatte er sich entschuldigt und somit das getan, was sie von ihm erwartet hatten, doch die Spannung in der Gruppe war noch nicht völlig verflogen, und Sam war klug genug, um zu erkennen, dass es nicht allein an ihm lag. Er fragte sich, was zwischen Griff und Finley vor sich ging und warum sie einander heimlich beobachteten, wenn sie glaubten, der andere bemerkte es nicht.
Außerdem überlegte er, ob er es sich durch seinen Angriff auf Finley endgültig mit Emily verscherzt hatte. Er wollte nicht glauben, dass sie nie wieder Freunde sein konnten. Diesen Riss zwischen ihnen wollte er um jeden Preis kitten.
Nach dem Essen bot er ihr an, die Ausrüstung zu tragen, die sie aus ihrem Labor mitnehmen wollte.
Sie lehnte dankend ab: »Das ist nett, aber alles, was ich brauche, steckt schon in meiner Tasche.« Sie klopfte auf den Lederbeutel, den sie sich über die Schulter geschlungen hatte.
Das widerborstige kupferfarbene Haar hatte sie mit einem einfachen Tuch zusammengebunden, über einem Leinenhemd und knielangen, mit Spitzen abgesetzten Hosen trug sie ein Lederkorsett. Die abgestoßenen braunen Stiefel reichten bis kurz unter die Knie. Ihre Kleidung war nicht ungewöhnlich, solche Sachen trug sie sonst auch, doch manchmal fiel Sam auf, wie hübsch sie war, und es schien ihm, als sähe er sie mit neuen Augen. Dies war ein solcher Moment, und er kam sich ausgesprochen dumm dabei vor.
Sie wandte den Blick ab. Hatte sie etwa gespürt, was in ihm vorging? »Du kannst aber mit mir hinausgehen, wenn du willst«, sagte sie leise.
Das erfüllte ihn so sehr mit Freude, als hätte sie ihn ihren Helden genannt. Er sagte nichts, doch als sie sich umdrehte und zur Tür ging, schritt er neben ihr, und es war ihm völlig egal, dass er seine Schritte erheblich verkürzen musste, um sie nicht zu überholen.
In den Ställen stießen sie zu den anderen – inzwischen war auch Jasper eingetroffen, der sie begleiten wollte – und stiegen auf die Velos. Griffin fuhr als Erster los, die anderen folgten nacheinander. Draußen herrschte dichter Verkehr, was in diesem Jubiläumsjahr und obendrein in der Nähe des Buckingham Palace aber kein Wunder war. Sie brauchten länger als sonst, um den Zugang zur Untergrundbahn ein Stück nördlich der Vauxhall Bridge Road zu erreichen. Sam war nicht sicher, ob er möglichst schnell oder überhaupt nicht dort ankommen wollte. In ihm tobten heftige Gefühle, als sie zu dem Ort zurückkehrten, an dem sein Blut geflossen war.
Schließlich langten sie am Ziel an, und Griffin führte sie über die Treppe in die dunklen Höhlen unter den geschäfti gen Straßen Londons.
Unten schalteten Griff, Emily, Jasper und Sam die Handlam pen ein, die Emily eigens für solche Gelegenheiten konstruiert hatte. Es waren lange Zylinder mit einer Energiequelle und einer hinter Glas geschützten Birne. Mit ihnen war es viel einfacher, die Schatten zu durchdringen. Leider waren die Be sitzer durch den hellen Schein auch viel leichter auszumachen.
Jasper, stets der Gentleman, zur Hölle mit ihm, bot Finley seine Lampe an, die jedoch ablehnte.
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