Das Maedchen mit dem Stahlkorsett
darauf an, sich blicken zu lassen.
Griffin beteiligte sich nicht an solchen Veranstaltungen, doch er war ohnehin anders als alle Peers, denen Finley je begegnet war. Warum ging er eigentlich nicht ständig auf Feste und Bälle wie andere junge Männer seines Alters? Nach allem, was sie über ihn gehört und selbst gesehen hatte, hielt er nicht viel von Vergnügungen. Erwartete man nicht von ihm, dass er sich in der feinen Gesellschaft zeigte? Eines Tages würde er eine Frau heiraten, die es wert war, Herzogin zu sein, und eine eigene Familie gründen. Dann würden sie, Emily und Sam auf der Straße stehen.
Himmel, was für bedrückende Gedanken! Da sie keinem Zweck dienten, schob Finley sie zur Seite. Eines Tages würde auch sie heiraten, also spielte es doch keine Rolle, oder? Nein, es spielte keine Rolle, und sie regte sich auch nicht auf. Es kam ja sowieso nicht infrage, dass Griffin sie heiratete. Was für ein Witz!
Als sie den eleganten Herrensitz erreichten, waren Griffin und die Gedanken an eine Heirat längst vergessen. Lady Marsden war aus Devon zurückgekehrt und wollte sie alle im Arbeitszimmer sprechen. Sie gingen sofort zu ihr und nahmen sich nicht einmal die Zeit, sich zu waschen.
Die elegante Lady erwartete sie schon und schritt ungeduldig auf dem Teppich hin und her. Die Silberketten, die vom Ohr zur Nase verliefen, glitzerten im Licht der Spätnachmittagssonne, die durch die Fenster hereinschien. Offenen Mundes betrachtete sie die Truppe.
»Was ist denn mit euch passiert?«, fragte sie. Selbst wenn es gar nicht zutraf, erweckte sie oft den Eindruck, völlig verblüfft zu sein.
Griffin erklärte, was geschehen war. Seine Tante wusste eine Weile nicht, ob sie entsetzt oder belustigt reagieren sollte, weil ihr Neffe derart bei der Königin hineingeplatzt war. Dies währte jedoch nicht lange. Sobald Griffin seine Annahme darlegte, der Maschinist habe den Tunnel gegraben, wurde sie bitterernst.
»Aber warum hat er die Figur bei Madame Tussauds gestohlen?«, schaltete sich Sam ein. »Er war doch im Palast und hätte mitnehmen können, was immer er wollte.«
»Das wäre schwierig gewesen, denn man hätte es rasch bemerkt«, widersprach Finley. »Ein Kleid kannst du nicht unter das Hemd oder in die Hosentasche stecken. Vielleicht war er dreist genug, im Palast umherzuspazieren, aber er war dennoch so vorsichtig, sich nicht erwischen zu lassen.«
»Er hat sicher sehr darauf geachtet, nicht aufzufallen«, stimmte Lady Marsden zu. »Denn wäre er bemerkt worden, hätte Victoria ihn vermutlich auch erkannt.«
Griffin merkte auf und starrte wie alle anderen seine Tante an. »Weißt du denn, wer er ist?«
»Ich glaube schon. Dein Verwalter hat ihn mir beschrieben, und alles passt zu anderen Berichten, die ich gehört habe. Außerdem hat dein Verwalter ein Detail erwähnt, das niemand sonst genannt hat. Der Maschinist hat eine Metallhand. Seine eigene hat er vor Jahren bei einem Arbeitsunfall verloren. Ich glaube, an diesem Unfall gab er deinem Vater die Schuld, Griffin.«
Griffin kniff die Augenzusammen. »Demnach kannte er meinen Vater.«
»Er nahm sogar an der Expedition teil«, erklärte seine Tante und zeigte ihm ein Foto. »Leonardo Garibaldi. Er war einer der engsten Freunde meines Bruders und das einzige Expeditionsmitglied, dessen Leiche nie gefunden wurde. Offenbar, weil er gar nicht gestorben ist.«
Finley betrachtete über Griffins Schulter hinweg das Foto. Es zeigte seine Eltern, die schön aussahen und glücklich wirkten, und eine Reihe anderer Menschen. Einen davon erkannte sie als ihren Vater. War es dumm, dass der Anblick sie traurig stimmte, obwohl sie ihn nie kennengelernt hatte?
Ihr Blick fiel auf Garibaldi. Sie glaubte, Sam neben sich keuchen zu hören, doch bevor sie sich an ihn wenden konnte, fuhr Lady Marsden fort.
»Garibaldi wollte die Entdeckung der Organellen öffentlich machen. Er dachte, sie könnten die Welt verändern und war wütend, als Victoria befahl, alles geheim zu halten. Sie war der Ansicht, es könnten viele böse Dinge geschehen, wenn die Menschen etwas so Wunderbares in die Hände bekämen.«
»Damit hatte sie Recht«, stimmte Griffin zu. »Es wäre schreck lich. Ganz besonders jetzt, da wir wissen, dass die Organellen für unsere besonderen Fähigkeiten verantwortlich sind. Garibaldi weiß jedoch, was man mit ihnen anstellen kann – und auch, dass sie menschliches Gewebe ersetzen können.«
Alle starrten ihn an. »Was hast du herausgefunden?«, fragte
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