Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
gewesen, als würde Margot ihnen gehören.
Er rannte auf den Balkon hinaus. Als er zurückkam, war er bleich vor Wut. »Der Herzog de Guise? Du lässt dich von einem Guise besteigen, du Metze?«
Ohne ein weiteres Wort verließ er das Gemach.
Mit zitternden Händen schloss Margot ihr Kleid. Sie versuchte sich zu fassen. Kurz darauf kam ein Diener. Man befahl sie zu ihrer Mutter.
Sie würde es leugnen , dachte Margot auf dem Weg. Ja, das würde sie. Mit hocherhobenem Kopf trat sie in das Gemach. Der Ausdruck, den sie in dem Gesicht ihrer Mutter erblickte, verwirrte sie. Eine betroffene Fassungslosigkeit und ein ungeheurer Zorn spiegelten sich darin. Margot begriff, dass es unmöglich nur ihre moralische Verfehlung sein konnte, die der Grund dafür war. Sie bekam Angst. »Ich weiß nicht, was Henri gesagt hat, aber es stimmt nicht …«, begann sie, doch sie kam nicht weiter. Der Schlag ihrer Mutter traf sie mit unerwarteter Wucht im Gesicht.
Margot taumelte zurück und griff sich entsetzt an die Wange. Dann sah sie, dass jemand in das Gemach gestürmt war – Charles. Ihre Mutter hatte ihren Bruder, den König, rufen lassen. Sie wurde blass.
»Du Hure! Wie kannst du nur! Sie wollen doch nur meinen Thron!«, stieß Charles hervor und stürzte sich auf sie.
Ihre Mutter schloss vorsorglich die Türen, als die Schläge des Königs auch schon in unbändiger Wut auf sie niedergingen.
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L ebrun musste zugeben, dass er überrascht war. Er hatte nicht damit gerechnet, Madeleine Kolb wiederzusehen – und schon gar nicht hier! Sie war am Nachmittag in Begleitung von Ambroise Paré mit irritierender Selbstverständlichkeit in den Louvre gekommen und erklärte nun, dass sie Ihre Majestät, die Königinmutter, sprechen müsse.
»Vielleicht solltest du erst einmal mit mir sprechen? Ich nehme an, dass du mir einiges zu erzählen hast«, hatte er entgegnet und sich bemüht, einen freundlichen Ton anzuschlagen. Nachdem Doktor Bruno im letzten Jahr aus Zweibrücken geflohen war und ihm berichtet hatte, dass nicht nur einer ihrer Boten getötet worden war, sondern Nicolas de Vardes auch in den Besitz der Briefe gelangen konnte, war sich der Geheimdienstchef sicher gewesen, dass Madeleine nicht mehr lebte.
»Nein, ich möchte mit Ihrer Majestät, der Königinmutter, sprechen!«, sagte sie unerwartet bestimmt.
Lebrun unterließ es, ihr zu sagen, dass es nicht an ihr war, das zu entscheiden. Ihre Haltung verriet eine hartnäckige Entschlossenheit. Wie war es ihr nur gelungen zu entkommen? Er überlegte, ob sie wichtige Informationen besaß oder man sie vielleicht sogar erneut zu den Protestanten bringen konnte. Der Frieden von Saint-Germain war beschlossene Sache, doch das würde nicht bedeuten, dass man die Hugenotten aus den Augen lassen durfte. »Nun gut, ich werde sehen, ob Ihre Majestät Zeit hat«, erwiderte er schließlich.
Zu Madeleines Erleichterung erklärte sich die Medici sofort bereit, sie zu empfangen. Paré war im Vorzimmer zurückgeblieben, und sie betrat mit Lebrun das Gemach.
»Ich freue mich, dass du zurückgekommen bist«, sagte sie mit überraschender Wärme. »Man sagte mir, dass du mich sprechen wolltest?« Sie bedeutete ihr, auf einem Schemel Platz zu nehmen.
Madeleines Blick glitt zu Lebrun und zu Fôlle, der Zwergin, die mit ihnen im Raum war. »Ja, Euer Majestät. Es gibt etwas, das ich Euch sagen muss … aber das kann ich nur allein!«
»Oh, keine Angst mehr, was?«, kicherte Fôlle. Die Medici hob die Hand. Einen kurzen Augenblick lang war auf dem Gesicht des Geheimdienstchefs eine leichte Fassungslosigkeit zu sehen, als die Königinmutter ihm und der Zwergin mit dieser knappen Geste bedeutete, das Gemach zu verlassen.
»Danke«, sagte Madeleine. Sie überlegte, wie sie anfangen sollte, und begann schließlich mit dem Einfachen. Zögernd erzählte sie, wie sie auf dem Rückweg von Zweibrücken von den Truppen des Herzogs d’Aumale aufgegriffen und nach Paris in das Palais der Guise gebracht worden war, wo sie der Kardinal und der spanische Botschafter verhört hätten.
»Der spanische Botschafter?«
Madeleine nickte. Obwohl dies nicht der eigentliche Grund war, warum sie gekommen war, fühlte sie sich verpflichtet, davon zu erzählen. »Ja, es war offensichtlich, dass er mit den Guise zusammenarbeitet!«
Die Medici zog ihre schmalen Augenbrauen hoch. »Das überrascht mich nicht«, sagte sie schließlich. »Wir haben selbst schon lange den Verdacht, dass die Spanier einen Informanten bei
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