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Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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Friedensvertrag geben, man hatte den Ketzern das Blut und die Tränen nicht verziehen, die in den letzten Jahren geflossen waren. Nur zu gut entsann man sich noch der brennenden Mühlen vor den Toren der Stadt.
    Madeleine dagegen empfand aufrichtige Bewunderung für den Mut der Medici. Nichts hätte in deutlicherer Weise das Symbol einer Verbindung zwischen den beiden Konfessionen schaffen können als diese Heirat.
    Sie selbst war nach ihrer Audienz bei der Medici an den Hof zurückgekehrt. »Deine Gabe bedarf des Schutzes, und nur ich kann ihn dir geben«, hatte die Königinmutter erklärt und versichert, dass sie dieses Mal alle Freiheiten behalten solle und jederzeit gehen könne, wenn sie den Wunsch verspüre. »Hat dein Traum dich nicht zu mir zurückgeführt? Unser Schicksal ist mit einander verbunden«, sagte sie. Madeleine zögerte. Es war schließ lich Ambroise Paré, der sie überzeugte. »Wie ich von Monsieur Nicot höre, bist du geschickt im Umgang mit Patienten. Du könntest mir auch hier zur Hand gehen.« Die Aussicht, dem Chirurgen über die Schulter zu schauen und etwas zu lernen, war verlockend. Und so war sie schließlich zurückgekommen.
    Es schien die richtige Entscheidung gewesen zu sein. Kurz nach ihrer Rückkehr hörte der Traum auf. Anfangs erschienen ihr noch einige verblasste Bilder, doch die Gesichter der Menschen und die Konturen der Straßen und Gebäude wurden immer schwächer, fast durchsichtig, bis sie schließlich ganz verschwanden. Nach langer Zeit schien es Madeleine, als könnte sich doch etwas ändern und es nicht nur Frieden für Frankreich, sondern auch für sie selbst geben.
    Am Hof gab man sich währenddessen den Festen hin: Bälle wurden gegeben, Konzerte gespielt, und man ließ Theater und Ballettvorstellungen präsentieren, in denen der neuen Einigkeit gehuldigt wurde. Obwohl Madeleine zu diesen Anlässen eingeladen war, nahm sie nur selten an ihnen teil. Manchmal jedoch beobachtete sie von Weitem das bunte Treiben. Unter den Höflingen und Hofdamen sah sie einige Male auch die Frau wieder, die Nicolas im Schloss von Brèves umarmt hatte. Der schmerzhafte Stich, den sie bei ihrem Anblick verspürte, verriet ihr, dass sie ihren eigenen Frieden noch lange nicht gefunden hatte.
    Auch eine andere Person traf sie am Hof wieder – Rémi. Unverhofft stand er ihr auf einem der Gänge gegenüber – die rotbraunen Locken noch immer schulterlang, aber sorgfältig frisiert und von einem Hut bedeckt. In seinem roten Seidenwams, den geschlitzten Hosenbeinen und Seidenstrümpfen wirkte er wie ein echter Höfling. Madeleine umarmte ihn überschwänglich.
    »Du erdrückst mich, ich bin ein Zwerg!«, krächzte er, aber sein verschmitztes Lächeln verriet, dass er sich über das Wiedersehen ebenso freute wie sie.
    »Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll«, sagte sie, als sie sich auf eine der gepolsterten Fensterbänke im Flur niederließen. Wie sich herausstellte, befand sich sein Herr bei einer Audienz der Königinmutter. Madeleine fröstelte unwillkürlich, als sie sich an die Gestalt des kalt wirkenden Spaniers erinnerte, doch Rémi schien in seinen Diensten nichts von seiner Unbekümmertheit verloren zu haben. Sie fragte, wie ihn sein Weg zu dem Botschafter gebracht hätte, und der Zwerg erzählte ihr, wie die Gauklertruppe damals, nach Madeleines Flucht, festgenommen wurde.
    Betroffen blickte sie ihn an. »Mein Gott, das wollte ich wirklich nicht.«
    Rémi winkte ab. »Es war letztendlich mein Glück. So bin ich Margaux entkommen«, erklärte er und berichtete, wie ihn der Kardinal gekauft hätte, um ihn dem Botschafter zum Geschenk zu machen.
    »Der Herzog d’Alava ist arrogant, streng und oft grausam – Margaux war ein Engel dagegen –, doch trotzdem geht es mir gut bei ihm.« Rémi drehte belustigt den Kopf zu ihr. »Er ist davon überzeugt, dass der Verstand eines Zwerges genauso kleinwüchsig ist wie sein Körper, und glaubt daher, ich hätte die Intelligenz eines schwachsinnigen Kindes.« Er schnippte ein Staubkörnchen von seinem glänzenden Wams. Dann grinste er. »Nun, ich habe nichts getan, um ihm diesen Glauben zu nehmen, denn so nimmt er mich überallhin mit … Fast überallhin«, setzte Rémi hinzu. »Nur nicht zu ihr.« Er deutete mit dem Daumen den Gang hin unter, wo sich einer der Audienzräume befand. Aufrichtiges Bedauern lag in seinen Worten.
    »Der Botschafter ist bei der Königinmutter?«, fragte Madeleine und blickte verwundert zu der mit Gold verzierten

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