Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
Goldtaler auf seinen Kopf ausgesetzt.
»So wie es sich für einen Rebellen und Ketzer gehört, der seinen Glauben und König verrät«, sagte die Haushälterin aufgebracht, die ihr davon berichtete.
Madeleine schwieg. Sie hatte vergessen, wie groß der Hass auf die Hugenotten war. Die Härte, mit der Coligny die Armee führte, tat ihr Übriges dazu. Er hatte den Tod eines seiner Obristen, der mit seinen Truppen von der Zivilbevölkerung im Périgord angegriffen und umgebracht worden war, blutig gerächt, indem er zweihundertfünfzig Einwohner töten ließ, wie man erzählte. Madeleine fröstelte, als sie all diese Dinge vernahm, und wollte nichts mehr vom Krieg hören. Sie sehnte sich nach Ruhe. Immer öfter fragte sie sich, ob sie wirklich zur Königinmutter gehen sollte, wenn diese zurückkam. Brauchte sie tatsächlich könig lichen Schutz, und sollte sie der Medici alles sagen? Würde dadurch nicht wieder alles von vorn beginnen und sie selbst nur erneut zwischen die Fronten geraten?
Der Winter kam indessen, und man hörte, dass es den Hugenotten gelungen sei, ihre Armee im Süden wieder zu vereinen, wo sie sich im Frühjahr mit erneuter Kraft zahlreicher Gebiete bemächtigten. Wie schon in den Kriegen zuvor gab es jedoch auf beiden Seiten Schwierigkeiten in der Truppenversorgung und große finanzielle Probleme. Die Kämpfe kamen nur noch schleppend voran, und so begannen endlich die ersten Verhandlungen für einen neuen Frieden.
Madeleine vernahm all diese Neuigkeiten mit unbeteiligter Miene. Sie wollte nur eines – vergessen und etwas Frieden für sich finden. Doch es war ihr eigenes Inneres, das genau das nicht zuließ – denn der Traum kehrte zurück, und zwar mit solcher Wucht und Kraft, dass sie zutiefst erschrak.
Teil V
Der Traum
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D as Gewand besaß ein tiefes Blau und war aus einem kostbaren Seidenstoff angefertigt worden. Der Schnitt betonte ihr Dekolleté und die Silhouette ihrer schmalen Taille bis hinunter zum Ansatz ihrer Hüfte, bevor er in einem weiten Faltenwurf aus einanderfiel. Margot hatte das Kleid bewusst gewählt, denn es be tonte im Licht der Kerzen auf geheimnisvolle Weise den Kontrast ihrer hellen Haut zu dem dunklen Haar und den sinnlich geschwungenen Lippen. Mit einem zufriedenen Blick nahm sie ihr Spiegelbild zur Kenntnis. Sie kannte ihre Wirkung. In den Augen der Menschen, die sie umgaben, war ihr die Bewunderung für ihre Schönheit nie entgangen – und auch in seinem Gesicht sah sie diesen Ausdruck, als er am Abend über den Balkon in ihr Ge mach stieg. Vorbei waren die Zeiten, in denen sie Henri einen Kuss abringen musste. Sie war seine Geliebte geworden und besaß eine neue ungekannte Macht über ihn. Er begehrte sie, er wollte sie besitzen, wieder und wieder – wie ein Rausch rann diese Erkenntnis durch ihre Adern, als sein glühender Blick sie traf. Mit einem Schritt war er bei ihr, vergrub seine Hand fordernd in ihrem dichten, weichen Haar und zog sie zum Kuss an sich. Es lag etwas Männliches in dieser Geste, das ihr gefiel, und sie gab sich mit einem sinnlichen Gefühl seiner Umarmung hin. Er wollte endlich, dass sie seine Frau wurde. Henri würde bei ihrem Bruder, dem König, um ihre Hand bitten. All ihre Wünsche würden in Erfüllung gehen. Margot dankte Gott, dass er ihre Gebete erhört hatte, denn für kurze Zeit hatte es anders ausgesehen. Nach dem überraschenden Tod ihrer Schwester Elisabeth hatte ihre Mutter sich bemüht, sie als deren Nachfolgerin mit dem spanischen König zu vermählen. Doch Philipp hatte abgelehnt und darüber hinaus auch eine Heirat von ihr mit dem jungen portugiesischen König verhindert. Alle Wege für eine Vermählung mit Henri de Guise waren damit frei.
Margot spürte, wie die Erregung ihren Körper ergriff, während Henri sie weiter küsste und seine Hände dabei ihr Kleid öffneten. In diesem Moment hörte sie die Schritte – schwere, schnelle Schritte. Margot erstarrte. Sie hatte ihrer Hofdame befohlen, vor ihren Gemächern Wache zu stehen. Warum hatte sie sie nicht gewarnt? Abrupt löste sie sich aus Henris Umarmung.
Die Schritte kamen näher.
Sie stieß Henri zum Fenster. »Schnell, geh!«, sagte sie voller Angst.
Henri blickte zu der Tür. Mit einem Satz war er auf dem Balkon, als auch schon eine Gestalt in Margots Gemach stürzte.
Es war ihr Bruder, Prinz Henri d’Anjou. Außer sich blickte er auf ihr halb geöffnetes Kleid und ihr von den Küssen gerötetes Gesicht. Schon immer waren ihre Brüder voller Eifersucht
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