Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
den Hugenotten eingeschleust haben … Weißt du, wer es ist, oder hast du einen Verdacht?«, erkundigte sie sich. Ihr Blick hatte einen durchdringenden Ausdruck bekommen.
Obwohl Madeleine mit dieser Frage gerechnet hatte, spürte sie, wie sich ihr die Kehle zuschnürte. Sollte sie sagen, was sie vermutete? Aber was, wenn sie sich täuschte und Nicolas damit doch unrecht tat? Ihr einziger Beweis war der, dass er aus dem Schloss in Brèves gekommen war und ihn eine Frau umarmt hatte. Sie schaute die Medici an und schüttelte den Kopf. »Nein. Es könnte jeder im Umfeld des Admirals sein«, behauptete sie, und ihre Hand krampfte sich dabei in die Falten ihres Rocks. Sie wusste, dass es nur einen Grund gab, warum sie ihren Verdacht nicht laut aussprach – weil sie Nicolas noch immer liebte und gegen jede Vernunft inständig hoffte, sich zu täuschen.
Die Medici musterte sie. »Nun, ehrlich gesagt ist es auch nicht mehr von Belang. Der Krieg ist vorbei, und die Guise haben ihre Macht verloren.«
Madeleine blickte auf, als sie den äußerst zufriedenen Unterton in der Stimme der Medici vernahm. Paré hatte ihr von dem großen Skandal erzählt, der den Hof seit einigen Tagen erschütterte. Prinzessin Margot sei in flagranti mit dem jungen Herzog de Guise erwischt worden. Der König sei außer sich gewesen und hätte vor Wut getobt. Er hatte den gut aussehenden Henri de Guise noch nie besonders ausstehen können. Doch nun war auch schlagartig seine Zuneigung zu dem Kardinal de Lorraine erloschen, weil er erkannte, dass die Guise über Margot eine Verbindung mit dem Königshaus anstrebten. Henri de Guise sei vom Hof verbannt worden, hatte Paré berichtet, und dürfe sich dort erst dann wieder sehen lassen, wenn er mit einer anderen Frau vermählt sei. Auch die Anwesenheit seiner beiden Onkel, des Kardinals und des Herzogs d’Aumale, hatte Seine Majestät vorerst für unerwünscht erklärt. Immerhin, das waren gute Neuigkeiten, musste Madeleine zugeben.
Die Augen der Medici ruhten noch immer auf ihr. »Dein Gespräch mit dem Kardinal und dem Botschafter ist nicht der einzige Grund, warum du gekommen bist, nicht wahr?«, fragte sie plötzlich.
»Nein«, gab Madeleine ehrlich zu. Sie suchte nach den richtigen Worten. »Ihr glaubt an Träume, nicht wahr?«, fragte sie die Königinmutter schließlich.
»Du meinst, an solche, die uns die Zukunft weisen?« Sie nickte. »Ja, das tue ich und habe es auch schon erlebt.«
Ihr Tonfall klang mit einem Mal warm, als spürte sie, welche Überwindung es die junge Frau kostete zu sprechen.
»Es gibt einen Traum, den ich schon lange habe«, begann Madeleine. »Er kommt immer wieder. Früher lagen große Abstände dazwischen – doch in der letzten Zeit vergehen kaum zwei, drei Nächte, dass ich nicht davon träume. Es ist ein furchtbarer Traum. Die Straßen von Paris sind blutüberströmt, und Menschen kämpfen gegeneinander. Überall liegen Tote und Verwundete, und man hört die Schreie und das Stöhnen der Sterbenden …« Sie brach ab, denn so oft sie die Bilder auch schon gesehen hatte – sie hatten nicht an Schrecken verloren.
Betroffen blickte die Medici sie an. »Das klingt wie die Apokalypse!«, sagte sie leise. »Sind es Protestanten und Katholiken, die du dort siehst?«
»Ja!« Madeleine wrang die Hände, doch dann wandte sie den Kopf zu ihr. »In diesem Traum habe ich auch Euer Gesicht gesehen, Euer Majestät!«
Die Königinmutter schwieg, doch sie verstand. Einen Moment später ergriff sie Madeleines Hände. »Glaube mir, ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um zu verhindern, dass es jemals zu so etwas kommt! … Ich wünsche mir schon lange eine Versöhnung zwischen Protestanten und Katholiken. Ich will etwas schaffen, das sie verbindet und einen weiteren Krieg verhindert – und dafür werde ich ein Zeichen setzen!«, sagte die Medici so eindringlich und in einem so beschwörenden Ton, dass Madeleine ihr glaubte.
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E s war in der Tat ein Zeichen, das die Königinmutter setzte. Mit Staunen hörte Madeleine einige Wochen darauf die neueste Nachricht. Ganz Paris sprach bald über nichts anderes: Margot, Prinzessin von königlichem Geblüt aus dem Geschlecht der Valois, die Tochter des großen Henri II. und der Catherine de Medici, sollte mit dem Prinzen Henri de Navarre vermählt werden – einem Protestanten! Gott konnte eine solche Vermählung nicht gutheißen! In den Straßen bekamen sich die Menschen vor Empörung kaum ein. Mochte es auch einen neuen
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