Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
ungläubiger Ausdruck überzog sein Gesicht. »Du glaubst, ich wäre dieser Verräter? Das wirfst du mir vor? Ausgerechnet du ?«
Die Kälte, die ihr aus seinem Gesicht entgegenschlug, war unerträglich.
»Ja!« Sie riss sich los und lief weg. Diesmal rannte sie, bis sie zurück im Schloss war, doch er kam ihr nicht mehr hinterher.
Paris, 18. August 1572
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E s war warm, unerträglich warm. Der Himmel lag an diesem Augusttag schwer und drückend über Paris. Zum zigsten Mal griff Madeleine nach dem Tüchlein in ihrer Rocktasche und fuhr sich damit über die Stirn. Sie beneidete die Braut nicht, die heute über Stunden in ihrer schweren Robe ausharren musste.
Es war der Tag der Vermählung von Prinzessin Margot und Henri de Navarre. Seit Wochen war man in Paris mit Vorbereitungen für das große Ereignis beschäftigt, das mit allem Prunk und Pomp gefeiert werden sollte. Eine Abfolge von rauschenden Bällen, Turnieren und Banketten würde sich an die Hochzeit anschließen.
Doch die Gesichter der Menschen wirkten angespannt, und die Stimmung war es auch. Wem wollte man es verübeln? Es war seltsam genug, Katholiken und Protestanten so vereint in Paris zu sehen. In den letzten Tagen waren mehr und mehr Hugenotten hier angekommen. Gut zweihundert protestantische Edelleute waren mit ihren Familien, ihrem Gefolge und übrigen Begleitern zur Hochzeit angereist und überschwemmten mit ihrem Anblick die Stadt. Bis hinaus in die Faubourgs hatten sie und ihre Leute Quartier bezogen.
Misstrauen, Ablehnung, Angst und nicht selten Hass spiegelten sich in den Gesichtern auf beiden Seiten.
Madeleine musste unwillkürlich daran denken, wie Henri de Navarre vor einigen Wochen in Paris angekommen war. Ganz in Schwarz gekleidet – da seine Mutter Jeanne de Navarre im Juni verstorben war –, ritt er in Begleitung von achthundert bewaffneten Getreuen, die wie er Trauer trugen, in die Stadt ein. Menschen säumten die Straßen, doch nur selten war ein Jubelschrei zu hören. Die Stille hatte etwas Gespenstisches gehabt.
Sie war ihm seitdem einige Male kurz begegnet. »Ihr seid ohne Frage die einzige Katholikin, die sich freut, mich zu sehen!«, hatte er mit einem verschmitzten Lächeln gesagt und ihr zugezwinkert. Sein Charme war nicht weniger entwaffnend als früher, doch er hatte sich verändert. Der Krieg hatte ihn endgültig zum Mann werden lassen, und der Tod seiner Mutter hatte ihn nun auch noch zum König von Navarre gemacht.
Mühsam kämpfte Madeleine sich zwischen den Menschen vor zur Kathedrale von Notre-Dame, bis sie eine Stelle fand, von der aus sie gut sehen konnte. Auf dem Vorplatz hatte man ein großes geschmücktes Podest errichtet, auf dem die Edelleute der Hugenotten neben den Höflingen und Hofdamen des Königs und der Königinmutter Platz genommen hatten. Auch Coligny war unter ihnen, wie sie sah. Er plauderte mit dem König. Mit dem Friedensedikt war auch er wieder vollständig rehabilitiert worden und gehörte seit letztem Jahr offiziell zum Kronrat. Madeleine war dem Admiral bei der Ankunft von Henri im Louvre begegnet. Ihr Herz war vor Schreck fast stehen geblieben, als er ihr auf einmal gegenüberstand. Doch zu ihrer Überraschung hatte er sich aufrichtig gefreut. »Wie schön, Euch wohlauf zu sehen, Mademoiselle! Wir waren damals alle in großer Sorge, als wir hörten, dass Ihr auf dem Rückweg von Zweibrücken von katholischen Truppen aufgegriffen worden seid«, sagte er. Es hatte einen Augenblick gedauert, bis Madeleine begriff, dass Nicolas ihm anscheinend nichts von ihrem Brief und ihren Diensten für die Medici erzählt hatte.
Sie ließ ihren Blick weiter über die aus Katholiken und Hugenotten gemischte Hochzeitsgästeschar gleiten. Etwas weiter abseits sah sie schließlich auch die Guise – mit starrem Gesicht. Ein Frösteln ergriff Madeleine, und sie spürte die Narben auf ihrem Rücken, als sie den Herzog d’Aumale erkannte. Neben ihm saß der junge Henri de Guise und eine auffallend schöne Frau. Es musste Anne d’Este, die Mutter von Henri und Witwe des ver storbenen Herzogs de Guise, sein. Einzig der Kardinal de Lorrai ne fehlte. Wie man hörte, weilte er in Rom. Papst und König fanden seine Anwesenheit bei dieser Hochzeit wohl gleichermaßen unpassend.
Da ertönte ein Raunen – die Braut erschien. Prinzessin Margot, die einen langen königsblauen Mantel trug, dessen Schleppe von drei Hofdamen gehalten wurde, bot einen atemberaubenden Anblick. Sie wirkte übernatürlich schön, wie
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