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Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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nicht mitbekommen. Trotz der sommerlichen Hitze kroch plötzlich eine eigentümliche Kälte ihren Rücken hoch. »Du meinst den Mann, mit dem ich vorhin geredet habe, als ich geweint habe? Aber das war nicht Nicolas, das war Philippe de Ronsard«, entfuhr es ihr.
    Rémi starrte sie an. »Wie auch immer sein Name ist … er ist der Mann, der im letzten Jahr heimlich beim Botschafter war, denn ihn habe ich dort gesehen … Ich konnte nicht alles hören, was sie damals gesagt haben, aber ich entsinne mich, dass sie über die Guise und Spanien sprachen!«
    Madeleine blickte ihn erstarrt an. »Mein Gott!«, stieß sie hervor, als sie begriff, was das bedeutete und vor allem – wie unrecht sie Nicolas getan hatte.

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    E r leerte das Weinglas in einem Zug und füllte sich sofort ein neues Glas ein. Es schmerzte unerwartet stark. Als hätte ihm jemand einen Dolch in den Körper gestoßen und würde ihn lang sam umdrehen, nur dass ihm dieser Schmerz allemal lieber gewe sen wäre. Er hatte nicht einmal gewusst, dass er zu solchen Empfindungen fähig war. Nie war sie ihm so schön vorgekommen wie in diesem Augenblick dort auf dem Fest. Am liebsten hätte er sie diesem anderen Höfling sofort entrissen.
    Dabei hatte er gespürt, dass sie nicht glücklich war. Sie wirkte verletzlich, und eine leise Melancholie umgab sie. Er nahm er neut einen Schluck. Es war grausam gewesen, was er getan hatte – er wusste es, doch er hatte den Zweifel in ihren Augen nicht ertragen können. Der Moment, als sie ihm sagte, dass sie ihn für einen Verräter hielt, war furchtbarer gewesen als alles andere. Es reichte, dass sie das auch nur von ihm glauben konnte! Selbst an jenem Abend in Zweibrücken, als er ihren Brief entdeckte, hatte er sich nicht so gefühlt.
    Seine Hand spannte sich um das Weinglas. Sie hatte ihm damals die Wahrheit gesagt. Nachdem er in Brèves so unerwartet freigekommen war, hatte sich Nicolas alles, was sie ihm erzählt hatte, wieder und wieder durch den Kopf gehen lassen und sogar einige Nachforschungen angestellt. Doch es stimmte alles, was sie gesagt hatte, und irgendwann hatte er begriffen, dass er ein Idiot war! Sie hatte den Admiral vor dem Anschlag gewarnt und ihm selbst das Leben gerettet – und sie war es gewesen, die in Noyers dafür gesorgt hatte, dass sie alle rechtzeitig nach La Rochelle geflohen waren! Sogar in dem Brief an den Geheimdienstchef hatte sie gelogen, um sie zu schützen – und er hatte es einfach nicht erkennen wollen, weil er schon so vergiftet war von diesem Klima des Hasses und Misstrauens, in dem sie alle seit Jahren lebten.
    Schon bevor ihm all das klar wurde, hatte er nach Madeleine suchen lassen, doch sie blieb unauffindbar – bis sie ihm im Louvre mit einem Mal gegenüberstand.
    Er musste an das Kind denken, das sie verloren hatten, und trank erneut einen tiefen Zug. Es war vorbei, dachte er. Es würde keine Zukunft für sie beide geben!
    Er erhob sich von dem Stuhl und entledigte sich seines seidenen Wamses. Gott, wie froh würde er sein, wenn die Hochzeitsfeierlichkeiten vorbei waren und er diese Stadt endlich wieder verlassen konnte. Er trat zu dem geöffneten Fenster und lehnte die Stirn gegen den Rahmen. Trotz der nächtlichen Stunde war es noch immer unerträglich heiß.
    Er würde mit in die Niederlande gehen, dachte er. Der Krieg hatte ihn schon immer alles am besten vergessen lassen. Der Admiral hatte ihn schon vor einiger Zeit gefragt. Coligny wollte dem Prinzen d’Orange, der sie in Frankreich im letzten Krieg unterstützt hatte, zu Hilfe kommen, denn Spanien kämpfte erbitterter denn je gegen die niederländischen Aufständischen. Im letzten Jahr hatte der protestantische Bruder des Prinzen d’Orange eine Audienz beim französischen König Charles erhalten und diesem einen Plan eröffnet, wie man die Niederlande Spanien entreißen und seine Provinzen unter Frankreich und den anderen Großmächten Europas und dem Hause Orange aufteilen könnte. Die Verlockung für Charles und die Königinmutter war groß, Spaniens Macht so zu mindern und gleichzeitig eine Versöhnung der Konfessionen in ganz Europa zu ermöglichen. Doch die desolate finanzielle Situation, in der sich Frankreich befand, und das Zögern Englands, sich an einem solch gewagten Unternehmen zu beteiligen, hatten den König schließlich gezwun gen, den Vorschlag abzulehnen.
    Coligny würde den Prinzen d’Orange trotzdem unterstützen. Mit der heimlichen Billigung des französischen Königs hatte er ihm

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