Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
eine Göttin, dachte Madeleine und sah, wie Henri de Navarre ergeben den Kopf vor ihr neigte, als sie vor ihm stehen blieb.
Ein älterer Kardinal begann mit der Zeremonie, die unter einem Baldachin vor der Kathedrale abgehalten wurde und kurz war – überraschend kurz. Nachdem Braut und Bräutigam ihr Jawort gegeben hatten, bot Henri der Prinzessin seinen Arm. Doch aus der Menge waren weder Jubel noch Hochrufe zu vernehmen.
Der junge König von Navarre geleitete Margot ins Innere von Notre-Dame, kam selbst jedoch sofort wieder heraus, weil er an der Messe nicht teilnehmen würde. Die katholischen Gäste strömten nun ebenfalls in die Kathedrale, während die Hugenotten mit Henri de Navarre draußen blieben. Es war ein seltsames Bild und wohl die ungewöhnlichste Hochzeit, die Paris je erlebt hatte. Madeleine bemerkte die erbitterten und empörten Blicke der Menschen um sich herum, zwischen denen laute Rufe ertönten. »Das soll eine Vermählung vor Gottes Angesicht sein?«
» Ketzervolk!«
»Abschlachten sollte man euch!«
Doch die Hugenotten blieben ungerührt. Madeleine kam nicht dagegen an, dass sie ein unruhiges Gefühl ergriff.
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D as prachtvolle Fest, das im Anschluss an die Vermählung gegeben wurde, ließ die mangelnde Begeisterung der Menge schnell vergessen. Madeleine hatte sich nach der Rückkehr umgekleidet. Sie war auf ausdrücklichen Wunsch des Königs von Navarre und des Admirals zu den Hochzeitsfeierlichkeiten eingeladen. Sogar zwei Kleider waren eigens für sie genäht worden. Seufzend hatte sie sich im Spiegel betrachtet – sie kam sich fremd vor in dem hellroten Seidenkleid und verspürte keine besondere Lust auf das Fest.
Ihr Blick glitt durch den aufwendig geschmückten Saal, der von dem lauten Klang der Musik und dem Stimmengewirr der Gäste erfüllt war. Der Glanz der vielen Kerzen spendete ein schmeichelndes goldenes Licht. Madeleine sah, dass sich auf der anderen Seite des Saales Margot in einer anmutigen Geste an ihren Bruder, den Prinzen d’Anjou, lehnte, fast als suchte sie Trost, wäh rend ihr Gemahl etwas entfernt mit zwei Getreuen plauderte. Auch etliche andere Höflinge erkannte sie und die Medici, neben der sie Fôlle bemerkte. Nicht weit davon stand Rémi.
Ein leichtes Lächeln glitt über Madeleines Gesicht. Im letzten Winter war der Herzog d’Alava nach Madrid zurückberufen worden und die Medici hatte ihm den Zwerg abgekauft. Madeleine hatte sie darum gebeten. Der Herzog hatte zunächst abge lehnt, doch eine Anhäufung von bedauerlichen Ungeschicklichkei ten seitens Rémis hatte den Botschafter schließlich umgestimmt. Nun war der Zwerg tatsächlich am Hof. Zumindest seine Wünsche schienen sich erfüllt zu haben.
Ihre Augen schweiften weiter durch den Saal. Wein floss in Strömen, und es wurde getanzt. Ehe sie sich versah, neigte auf einmal ein unbekannter Edelmann vor ihr den Kopf und zog sie mit sich. »Nein …« Doch er beachtete ihren Protest gar nicht. »Ein Tanz – zu Ehren des frisch vermählten Paares, Mademoiselle!« Er reichte ihr mit einem Lächeln die Hand. Madeleine ergriff sie und folgte unsicher den Schritten, die er vorgab. Nur selten hatte sie in ihrem Leben getanzt. Doch es machte Spaß und gelang ihr erstaunlich gut, stellte sie fest. Einen Moment lang gab sie sich ganz den Klängen der Musik hin. Schließlich endete der Tanz. Ein wenig außer Atem wandte sie sich mit einem Nicken von dem Edelmann ab – und sah ihn.
Er lehnte einige Schritte entfernt an der Wand und blickte sie an. Er hatte sie beobachtet, schon eine ganze Weile, das spürte sie. Sie blieb stehen – gefangen von seinem Blick, während sie gleichzeitig den Impuls verspürte zu fliehen. Doch wohin?
Da kam er auf sie zu.
»Es würde einen schlechten Eindruck machen, wenn du hier wegrennst«, sagte er rau, als würde er ihre Gedanken erraten. Er war vor ihr stehen geblieben und beugte sich zu ihr. »Schenkst du einem Verräter einen Tanz?« Es klang kalt und abweisend, doch sie nickte stumm, weil sie plötzlich nicht mehr die Kraft fand, sich gegen ihre Gefühle zu wehren.
Er ergriff ihre Hand, und die Wärme seiner Finger schickte einen Hitzestrom durch ihren Körper. Während sie sich zum Klang der Musik bewegten, sah er sie an – unverwandt, als wollte er sich ihr Bild einprägen. Ihre Augen trafen sich wieder und wieder, und sie spürte, wie jede Abwehr von ihr dahinschmolz.
Als der Tanz endete, neigte er den Kopf. Dann ließ er ihre Hand los und ging.
»Nicolas
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