Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
Mann mit der Pistole, der anscheinend ihr Anführer war, ansprach.
»Was wollt Ihr?«, fragte sie tonlos.
Der Mann kam einen Schritt auf sie zu. »Nicht mehr als eine kleine Auskunft«, erwiderte er und gab einem der anderen beiden Männer ein Zeichen.
Sie beobachtete zu ihrem Entsetzen, wie dieser Catherines Kopf an den Haaren zu sich nach hinten riss und ihr ein Messer an die Kehle hielt. Die Magd schrie auf.
Der Unbekannte vor ihr schenkte ihr einen ausdruckslosen Blick. »Nur damit Ihr versteht, dass wir es ernst meinen.«
Madame Maineville nickte verstört.
»Wir suchen eine junge Frau, die bei Euch Unterschlupf gefunden hat«, erklärte er dann. »Ihr Name ist Madeleine Kolb. Eure Magd behauptet, sie sei nicht mehr hier – und ich möchte wissen, wo sie sich jetzt befindet.«
Madame Maineville blickte zu Catherine, der die Tränen über die Wangen liefen.
Der Mann mit der Pistole gab erneut ein Zeichen. Sein Begleiter verstärkte den Druck auf das Messer an Catherines Kehle. Ein Blutstropfen rann die weiße Haut ihres Halses hinab. Die Magd schluchzte jäh auf.
»Hört auf!«, rief Madame Maineville aufgelöst.
»Nun, das liegt ganz an Euch. Wie viel bedeutet Euch das Leben von ihr?«, fragte der Mann und machte Anstalten, die Hand zu heben. Das Messer schien sich noch ein Stück tiefer in Catherines Haut zu senken.
»Nein, nicht«, rief die Haushälterin voller Angst und schloss für einen kurzen, kaum wahrnehmbaren Moment die Augen. »Die junge Frau, die Ihr sucht, sie ist mit einigen unserer Männer auf dem Weg nach Châtillon zum Anwesen der Colignys«, brachte sie schließlich hervor.
Sie sah, dass die Auskunft den Unbekannten überraschte. Er musterte sie, als erwöge er, ob er ihr glauben könnte, doch dann schien er zu erkennen, dass sie tatsächlich die Wahrheit sagte.
Die Haushälterin kämpfte gegen ihre Schuldgefühle an. Doch Madeleine musste schon längst in Châtillon angekommen sein. Auf dem Anwesen des Admirals würde sie sich in Sicherheit befinden, versuchte sie sich zu beruhigen, während sie voller Erleichterung beobachtete, wie der andere Mann endlich das Messer von Catherines Kehle nahm.
Schluchzend lief die Magd zu ihr, und sie legte schützend den Arm um sie.
»Habt Dank für Eure Hilfe«, sagte der Mann mit einem kalten Lächeln.
Châtillon, 1567
49
D er Hufschlag ihrer Pferde hallte auf dem Pflaster wider, als sie in den Hof einritten. Mehrere Stallknechte kamen auf sie zugelaufen, und jemand reichte Madeleine die Hand, um ihr vom Pferd zu helfen.
Madeleine schaute sich benommen um. Menschen liefen geschäftig über den Hof – Mägde, Knechte und Diener genauso wie einige höfisch gekleidete Herren mit Hut und Degen. Zwei Männer stützten den erschöpften Guillaume und brachten ihn auf Befehl von Vardes sofort ins Haus.
Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht. Das also war Châtillon! Ihr Blick glitt über die helle, elegante Fassade des Schlosses hinauf zu den verzierten Dachgiebeln und Türmen.
Madeleine hätte nicht sagen können, was sie sich genau unter Châtillon vorgestellt hatte. Einen Ort mit hohen Mauern und einem schmucklosen, finsteren Herrenhaus, das eher an eine Festung erinnerte und in dem Menschen lebten, die die dunklen gedeckten Farben der Protestanten trugen und stets bewaffnet waren, vielleicht. Wie hätte das Anwesen eines Mannes sonst auch aussehen sollen, der als einer der gefährlichsten Ketzer des Landes, als der Antichrist, galt und über den man sich unter den Katholiken nur die düstersten Geschichten erzählte? Streng, grau sam und vom Teufel besessen sei Coligny, so hieß es.
Von all dem war hier jedoch nichts zu spüren. Châtillon war ein malerisches, einladendes Anwesen, musste sie zugeben. In der Mitte des Schlosses erhob sich ein übergroßer Turm, der es den Wachen erlaubte, jeden, der sich über das weite flache Land näherte, schon Meilen im Voraus zu sehen. Hohe Wehrmauern schützten das Schloss, das selbst jedoch etwas Lichtes und Erhabenes ausstrahlte und eine Schönheit und Größe besaß, die ohne Frage auch eines Königs würdig gewesen wäre. Nirgends hätte sich stärker verdeutlichen können, dass Coligny nicht nur einer der bedeutendsten Hugenottenanführer war, sondern auch einer der großen und alten Adelsfamilien Frankreichs entstammte.
In diesem Moment sah Madeleine, dass eine elegant gekleidete, zierliche Frau aus dem Schloss auf sie zukam. Ihr hellblaues Kleid war schlicht, aber aus einem edlen Samtstoff
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