Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht
und mit Spitze und silbernen Schnüren verziert. Um ihre Füße tummelten sich drei kleine Kinder, die ihr gefolgt waren und die Ankömmlinge nun mit neugierigen Augen anstarrten. Die Frau, die nicht älter als Ende dreißig sein konnte, schenkte den Ankömmlingen ein warmes Lächeln. »Mein Gemahl, der Admiral, wird leider erst am Abend zurückkehren, aber erlaubt mir, dass ich Euch indessen bei uns willkommen heiße«, sagte sie.
Mein Gemahl? Dann war sie die Frau von Coligny – Charlotte de Laval? Madeleine erinnerte sich, dass die Männer während der Reise ihren Namen einige Male erwähnt hatten. Sie war jedoch davon ausgegangen, dass sie wesentlich älter sein müsste. Und sie hatte auch nicht gewusst, dass der Admiral mehrere Kinder hatte. Überrascht betrachtete sie die Frau, die die Männer einen nach dem anderen voller Herzlichkeit begrüßte. Madeleine verspürte einen leisen Stich, als sie sah, wie Vardes Charlotte de Laval die Hand küsste und sie dabei vertraut anlächelte.
Seit ihrem Kuss war Madeleine ihm aus dem Weg gegan gen. Während der Reise hatte er mehrmals das Gespräch mit ihr gesucht, doch sie hatte sich stets in der Nähe von Guillaume aufgehalten, um dieser Peinlichkeit zu entgehen. Noch immer begriff sie nicht, was in sie gefahren war, dass sie ihn geküsst hatte. Was hatte sie sich gedacht? Nur weil es einen kurzen Augenblick der Nähe und Vertrautheit zwischen ihnen gegeben hatte? Sie hatte vergessen, dass Nicolas de Vardes ein Mann von Stand war, ein Protestant, der niemals bereit sein würde, ihr mehr als eine gewisse Dankbarkeit für das entgegenzubringen, was sie getan hatte. Eine leichte Bitterkeit stieg in ihr hoch, denn sie verstand selbst nicht, wie sie sich zu einem Mann wie ihm so hingezogen fühlen konnte.
Sie beobachtete verstohlen, wie Vardes und Charlotte de Laval miteinander sprachen, als Colignys Gemahlin plötzlich auf sie zutrat. »Ich habe gehört, dass Ihr meinen Gemahl und seine Män ner vor dem Anschlag gewarnt habt, Mademoiselle«, sagte sie mit wohlklingender Stimme. »Und ich ahne, in welche Schwierigkeiten Euch das alles gebracht hat. Ich hoffe, Ihr werdet mir erlauben, einiges davon wiedergutzumachen, denn meine Kinder und ich stehen tief in Eurer Schuld.«
Es war tiefe Ehrlichkeit, die Madeleine von Charlotte de Laval entgegengebracht wurde, und für einen Moment fehlten ihr die Worte. Noch niemals zuvor hatte sie jemand mit dem respekterbietenden »Ihr« angesprochen.
»Das ist wirklich nicht nötig«, brachte sie schließlich abwehrend hervor und sank dabei unbeholfen in einen tiefen Knicks.
Charlotte de Laval lächelte nur leicht. Sie bestand darauf, dass Madeleine ein Gästegemach im Schloss bezog. Zum Abend würde man sie alle, wie es Sitte im Haus war, im unteren Festsaal erwarten, teilte sie den Ankömmlingen mit.
Ein Diener geleitete Madeleine zu ihrer Unterkunft. Der Raum war groß, besaß einen eigenen Kamin und war mit einem Wand teppich und einem großen Bett ausgestattet, dessen seitliche Vor hänge aus teurem Tuchstoff bestanden. Befangen sah sie sich um. Sie fühlte sich unwohl in dem Zimmer. Wie viel lieber hätte sie genau wie in La Bonnée in einem der Nebengebäude, wo auch die Dienerschaft untergebracht war, eine Kammer bezogen. Sie unterdrückte ein Seufzen. Durch das Fenster konnte sie über mehrere Terrassen hinweg einen prachtvoll bepflanzten Park aus machen, dessen Mitte ein mit Skulpturen dekorierter Brunnen zierte.
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A m Abend begab sie sich mit allen anderen in den Festsaal des Schlosses hinunter. Vor einem großen verzierten Kamin war eine lange Tafel gedeckt. Der Raum war voll mit Menschen – nicht nur Familie und Gäste waren gekommen, sondern auch ein Großteil des Gesindes. Jeder, der abkömmlich war, hatte sich am Abend vor dem Diner hier einzufinden. So wollte es die Sitte des Hauses, hatte ein Diener, der auch sie gerufen hatte, Madeleine erklärt.
Eine Bewegung an einer der beiden großen Flügeltüren verriet die Ankunft des Hausherrn Coligny. Madeleine verspürte eine leichte Anspannung. Sie hatte von den Ereignissen im Wirtshaus kaum mehr als einen verschwommenen Eindruck von ihm im Kopf. Unauffällig versuchte sie, den Admiral daher von ihrem Platz aus näher in Augenschein zu nehmen, als er nun den Saal betrat. Wie sie vermutet hatte, war er etliche Jahre älter als seine Frau. Er musste Ende vierzig sein. Seine große kräftige Gestalt mit den dunkelblonden Haaren strahlte die Kraft und Autorität eines
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