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Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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einmal eine Abbildung oder Zeichnung von Paris gesehen und es nur vergessen«, meinte Vardes.
    Sie schwieg, weil sie wusste, dass sie niemals eine solche Abbildung gesehen hatte.
    »Erzähl weiter – warum kämpfen die Männer? Herrscht Krieg?«, fragte er.
    »Ich nehme es an, denn es wird überall gekämpft«, antwortete sie zögernd. Sie merkte, dass es ihr guttat, darüber zu sprechen. »Aber gleichzeitig sind die Bilder schrecklicher, als ich mir einen Krieg jemals vorstellen könnte. Menschen werden von Soldaten und bewaffneten Männern aus den Fenstern der Häuser gestürzt, ihre Leichen durch die Straßen geschleift und in den Fluss geworfen, dessen Wasser sich von ihrem Blut rot gefärbt hat. Selbst Frauen und Kinder werden getötet.« Sie verstummte schaudernd, bevor sie schließlich fortfuhr. »In den Gesichtern von denen, die töten, ist ein unvorstellbarer Hass. Sie sind wie von Sinnen, erfüllt von einem Rausch nach Blut. Sie kennen keine Gnade … Ist Krieg so?«, fragte sie leise.
    Er blickte sie an.
    »Manchmal«, erwiderte er. Seine Stimme klang dunkel, beinah belegt, als würde er die Bilder ebenso vor sich sehen wie sie. »Warum rennst du in deinem Traum durch die Straßen?«, erkundigte er sich dann. »Will man dich auch töten?«
    »Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich furchtbare Angst habe und mich schuldig fühle, weil ich das Unglück um mich herum nicht verhindert habe …« Sie nahm selbst wahr, wie verzweifelt sich ihre Stimme anhörte.
    »Du glaubst, du hättest es verhindern können?«, fragte er überrascht.
    »Ja.«
    In seinen Augen, die in der Dunkelheit glänzten, zeigte sich ein warmer Ausdruck. »Es tut mir leid, aber die Bürde dieser Verantwortung scheint mir selbst für einen Traum zu groß. Glaub mir, ich habe viele Kriege erlebt, und ich kann dir sagen, dass es nie in dem Vermögen eines einzigen Menschen liegt, solche Tragödien zu verhindern.«
    Sie schaute ihn zweifelnd an.
    Er beugte sich zu ihr. »Es ist nur ein Traum, Madeleine!«, sagte er.
    Sie nickte und spürte, wie er die Hand auf ihre Schulter legte.
    »Wovor fürchtest du dich eigentlich so?«, fragte er unerwartet weich. Seine Worte und die Art, wie er sie ansah, ließen keinen Zweifel, dass er weder von ihrem Traum noch von der Bedrohung durch die Guise sprach, und einen Moment war sie in Versuchung, ihm die Wahrheit zu erzählen. Dass es sie selbst war, vor der sie am meisten Angst hatte. Wie unerträglich es war, von diesen Visionen heimgesucht zu werden, welche ständige Panik sie hatte, dass es erneut geschehen würde, und dass der Traum nur deshalb für sie so schrecklich war, weil etwas in ihr fürchtete, er könnte mehr sein als nur ein Abbild ihrer Fantasie, und die grauenvollen Bilder könnten irgendwann tatsächlich zur Wirklichkeit erwachen. All das hätte sie ihm am liebsten gesagt – und auch, dass sie ihm vertraute und sich auf eine Weise zu ihm hingezogen fühlte, die neu und unbekannt für sie war. Sie sehnte sich danach, dass er sie in die Arme nahm.
    Er schaute sie noch immer an.
    Da hob sie das Gesicht und küsste ihn. Es war ein scheuer, beinah verzweifelter Kuss, in dem ihre ganze Sprachlosigkeit lag. Für den Bruchteil einer Sekunde schien er überrascht, dann zog er sie an sich. Sie konnte unter dem Stoff seines Hemdes seine Muskeln fühlen, während seine Lippen die ihren suchten und sie erst sanft und dann mit einer zunehmenden Leidenschaft küssten, die sie im gleichen Maße erschreckte wie erregte. Das Blut pulsierte in ihren Adern, und für einen Augenblick vergaß Madeleine alles. Sie schlang die Arme um seinen Hals, erfüllt von einer fast schmerzhaften Sehnsucht, seinen Körper zu spüren und von ihm weiter geküsst und berührt zu werden und einfach an nichts mehr denken zu müssen.
    Seine Hände glitten zu ihren Hüften hinab und zogen sie enger zu sich. Sie lehnte mit einem leisen Stöhnen den Kopf nach hinten, als sich seine Lippen von ihrem Mund lösten und weiter ihren Hals hinabglitten. Sein warmer Atem strich über ihre Haut, und sein Gesicht versenkte sich in der Beuge zu ihrem Nacken, als wollte er den Geruch ihrer Haut einatmen.
    »Mein Gott, Madeleine«, murmelte er.
    Ihre Finger strichen durch seine Haare und glitten seinen breiten Rücken hinab, als er mit einem Mal seine Hände behutsam von ihren Hüften löste. Sie blickte ihn aufgelöst an – sein Atem ging noch immer schnell, und in seinen Augen stand deutlich die Erregung zu lesen, doch er berührte sie

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