Das Mädchen mit den Teufelsaugen
unterstützen.»
Rosamund drehte sich um, sah zum Jesus am Kreuz, der noch immer, wie sollte es auch anders sein, die Augen geschlossen hielt. Als sie sich wieder der Alten zuwenden wollte, war diese verschwunden. Der Platz, auf dem sie gegessen hatte, wirkte leer und kalt.
Rosamund hielt einen Augenblick inne, wusste nicht, ob sie das Weiblein geträumt hatte. Doch war das nicht gleichgültig? Sie fühlte sich so gestärkt, gekräftigt wie nach einem guten Mahl, einem Becher Wein. Die Kälte war von ihr abgefallen. Sie stand auf, bekreuzigte sich, dann machte sie sich auf den Weg.
Ungehindert passierte sie das Stadttor, kam durch die Vorstadt, überquerte das Flüsschen Nidda über eine Holzbrücke, streifte durch Wälder. Manchmal kamen ihr Leute entgegen. Fuhrwerke aus Nordhessen, die mit Tuch beladen waren, eine Gruppe von Nonnen auf den Weg ins benachbarte Kloster, Bauern, unterwegs zu ihren Äckern, oder berittene Boten, die Nachrichten von Ort zu Ort transportierten. Jedes Mal grüßte sie, jedes Mal wünschte man ihr einen guten Weg.
Der Herbst war angebrochen, die Bäume verfärbten sich. Manchmal blieb Rosamund stehen, betrachtete das Zusammenspiel der Farben. Dunkles Rot neben hellem, dazwischen feuriges Orange, sattes Gelb, bläuliches Grün. Die Luft roch nach abgeworfenen Pappelblättern und nassem Laub, nach feuchter Erde und nach Pilzen.
Seit Rosamund das Stadttor hinter sich gelassen hatte, fühlte sie sich erleichtert. Sie hatte einen Weg, ein Ziel. Das war mehr als zu Hause. Dort hatte sie in der letzten Zeit immer nur darauf geachtet, einen Schritt vor dem nächsten zu tun, den Morgen nur bis zum Abend planend.
Sie ließ das Dörfchen Bonames hinter sich, trank in Kalbach in einer Schänke einen Becher Apfelsaft und erreichte in den Abendstunden die kleine Stadt Homburg.
In einer Wirtschaft bat sie um ein Essen und um ein Nachtlager. Der Stall wäre ihr recht gewesen, doch die Wirtsfrau schüttelte den Kopf. «Eine Pilgerin seid Ihr? Was wollt Ihr da im Stall? Ich gebe Euch eine Schüssel Grütze, aber schlafen müsst Ihr anderswo, wenn Ihr kein Geld habt.»
Rosamund erschrak. Erst jetzt fiel ihr auf, dass das Leben bezahlt werden musste. Hals über Kopf war sie aufgebrochen, hatte nichts bei sich als das, was sie am Leibe trug. So war es damals in Mariahilf auch gewesen, doch jetzt schützten sie die Klostermauern nicht und auch nicht ihr Ruf als Heilige. Aber vielleicht konnte sie sich doch über Wasser halten? Sie musste es wenigstens versuchen. «Geld habe ich nicht, aber wenn Ihr einen Kohlestift habtund Papier, dann will ich Euch eine Heilige malen, die Euer Haus beschützt.»
Die Wirtsfrau runzelte die Stirn. «Kohle und Papier in einer Schankwirtschaft?» Sie schüttelte den Kopf. «Wozu soll das gut sein? Wenn wir etwas notieren müssen, dann reicht eine Schiefertafel und ein Griffel.»
«Auch darauf kann ich zeichnen, wenn Ihr mich nur lasst.»
«Eine Heilige in einer Wirtschaft, pah!», machte die Wirtin. «Das ist ungefähr wie ein Madonnenbild in einem Hurenhaus.»
Rosamund ließ die Schultern sacken, sah durch die Butzenscheiben nach draußen in den Herbstabend. Aus den Wäldern stiegen Nebel auf, die Sonne war längst untergegangen.
«Also gut, bleibt hier, um der Nächstenliebe willen. Ich gebe Euch die Tafel und den Griffel, aber gebt Acht, dass Ihr nicht alles zerkratzt.»
Rosamund atmete auf, setzte sich in ein stilles Eckchen und begann zu zeichnen. Immer wieder fiel ihr Blick dabei auf das Gesicht der Wirtsfrau. «Wie heißt Ihr?», fragte sie einmal. Die Wirtin zuckte mit den Achseln. «Hanna nennt man mich. Und mein Mann, der heißt Joachim.»
Rosamund lachte. «Der Eure und Ihr, Ihr heißt wie die Eltern der Heiligen Jungfrau Maria?»
Die Wirtin runzelte die Stirn, als wolle Rosamund sie auf den Arm nehmen.
«Wirklich. Es ist, wie ich sage. Ich habe eine Zeit in einem Kloster gelebt. Hanna oder Anna heißt auf Deutsch‹Gnade› und ist zugleich der Name der Mutter von Maria. Ja, und Annas Mann, das war Joachim.»
Jetzt lächelte auch die Wirtin. «Wir heißen wie die Großeltern vom Jesuskind?», fragte sie nach.
Rosamund nickte eifrig.
«Dann malt fleißig. Wer weiß, vielleicht füllt’s uns ja am Ende die Scheuer.»
Die Wirtin schwenkte einen nassen Lappen, schüttelte belustigt den Kopf, und Rosamund zeichnete weiter. Sie nahm die Züge der Frau in sich auf, die Haltung ihres Kopfes, das feine Lächeln, das in ihren Mundwinkeln lag.
Nach einer
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