Das Mädchen mit den Teufelsaugen
Wort, so stand es in der Bibel, doch die Worte waren dafür verantwortlich, dass die Welt schwierig war.
Matteo. Noch immer klangen seine Worte in ihrem Kopf. Ohne sie wäre sein Leben anders verlaufen. Ohne sie, die Schwägerin des Zunftmeisters, der sich in die Ehe mit Ursula gezwungen fühlte, wäre er womöglich längst ein ordentliches Mitglied der Zunft, müsste nicht um Aufträge betteln, wäre anerkannt. Sicher hätte er längst eine andere Frau an seiner Seite, eine, die ihm ein Dutzend Kinder geschenkt hätte. Und er hätte ganz sicher noch seine Hand.
Aber so war sein Leben eben nicht verlaufen. Und niemand hatte Schuld daran, es sei denn, Matteo selbst. Keiner hatte ihn gezwungen, sie zu heiraten. Keiner hatte vorhersehen können, dass ihr Schoß trocken war. Oder seine Lenden. Auch das konnte schließlich sein. Und niemand hatte das Hündchen so abgerichtet, dass es Matteo die rechte Hand zerfetzen würde. Aber natürlich konnte man glauben, der Teufel hätte bei all diesen Dingen seine Hand im Spiel. Er hatte recht gehabt, Rosamund zu verstoßen, das Übel mit der Wurzel auszurotten. Er war ohne sie besser dran. Obgleich es sein konnte, dass es zu spät war für einen Neuanfang. Ohne die Finger, die er am dringendsten benötigte.
Rosamund sah auf ihre Hände. Es ist wie in der Urlegende des Dr. Faustus, dachte sie. Vater hat mir davonerzählt. Von Dr. Faustus und dem Mephistopheles. Dem Geist, der stets verneint. Dem Geist, der stets das Böse will und dabei das Gute schafft. Bei ihr war es andersherum. Sie hatte immer nur das Gute gewollt, und dabei war das Böse entstanden. Oh, sie war verflucht. Vom ersten Tag ihres Lebens verflucht.
«Was soll ich nur tun?», fragte sie den blicklosen Jesus am Kreuz. «Wohin soll ich?»
Da berührte eine Hand sie an der Schulter. Rosamund drehte sich um, sah in das Gesicht eines alten Weibleins. Es war voller Runzeln und Falten. Dazwischen lagen zwei schmale, freundliche, wasserhelle Äuglein.
«Ihr seid des Hoffmanns Tochter?», fragte sie, und Rosamund musste sich anstrengen, die Worte zu verstehen, die sie zahnlos nuschelte.
«Ja», seufzte sie. «Die bin ich wohl.»
«Was tut Ihr hier zu einer Zeit, in der eine ehrbare Hausfrau sich um das Mittagsmahl kümmern sollte?»
Die Worte kamen freundlich, ganz ohne Vorwurf.
«Ich habe niemanden mehr, dem ich ein Mahl bereiten könnte», erwiderte Rosamund.
Das Weib nickte. «Er hat Euch verstoßen, nicht wahr?»
«Woher wisst Ihr das?»
Das Weib lachte keckernd. «Er ist ein Mann. Es musste so kommen.»
«Was wisst Ihr?»
«Kennt Ihr mich nicht?»
«Nein», gab Rosamund zu. «Mir ist, als habe ich Euch noch nie gesehen.»
Wieder lachte das Weib. «Die Hilda bin ich, bringe Euch Kräuter aus dem Wald für Farben und Tränke. Auch die Läuse für das Rot bekommt Ihr von mir, und die schwarzen, alten Weinstöcke.»
Rosamund nickte benommen.
«Der Dietrich hat mit mir die Geschäfte gemacht. In der letzten Zeit hat nicht der Eure vor der Leinwand gestanden, sondern Ihr wart es.»
«Ja. Es ging nicht anders.»
Das alte, verknitterte Weiblein lächelte, tätschelte Rosamund die Schulter.
«Als ich noch so jung war wie Ihr, da erging es mir ähnlich. Der meine, ein Fallensteller, wurde blind. Da habe ich die Fallen für ihn gestellt, die Tiere gehäutet, das Fleisch verkauft. Gehasst hat er mich dafür. Mit dem Knüppel hat er geschlagen und mit der Sauferei angefangen. Jeden Tag hat er mir vorgehalten, dass alles meine Schuld wäre.»
«Und was habt Ihr getan?»
«Gegangen bin ich, noch bevor er mich rausschmeißen konnte. Ich bin nach Marburg gepilgert, zum Grab der heiligen Elisabeth von Thüringen. Habt Ihr je von ihr gehört?»
Rosamund nickte. «Sie hat sich um die Alten und Kranken gekümmert, nicht wahr? Hat in Armut und Dreck gelebt, obwohl sie von königlichem Geblüt war.»
«Ja, und weil sie eine starke Frau war, haben die Männer sie verfolgt. Gestorben ist sie nicht an ihrer Güte, sondern am Hass der Männer. Seither wacht sie über Frauen wieuns. Geht zu ihr, schlaft eine Nacht auf den Stufen vor ihrem Grab, das sich in der Elisabethenkirche befindet. Sie wird Euch helfen, wie sie auch mir geholfen hat.»
«Wie hat sie Euch geholfen?»
Das Weiblein lachte. «Was der einen hilft, kann für die andere von Schaden sein. Vertraut der Elisabeth. Sie wird für Euch das Richtige finden. Und er», die Alte wies mit dem Finger auf das Kruzifix, «wird sie dabei
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