Das Mädchen mit den Teufelsaugen
und auch sonst niemand. Wie die Muttergottes aussah, weiß man nicht. Und da man das nicht weiß, könnte das da», er wies auf die Leinwand, «die Muttergottes sein, oder aber auch nicht. Ich für meinen Teil sehe die Dittmännin dort. Das Ratsherrenweib, das – zugegeben – einen Umhang trägt, der nicht der Kleiderordnung entspricht. Mäntel wie der gemalte stehen allein dem Hochadel zu, aber ist es einem liebenden Ehemann nicht gestattet, in seinem Eheweib die Schönste der Schönen zu erblicken, die Edelste und Hochherzigste?»
Michael trat auf den Abt zu. «Ist das Euer letztes Wort in dieser Sache?»
«Ja, das ist es. Und Ihr, mein Sohn, könnt von Glück reden, wenn dieser befremdliche Vorfall nicht zum Stadtgespräch wird. Könnte gut sein, dass einer, der Euch schlecht will, dem Malefizamt anzeigt, dass Ihr üble Nachrede gegen den Matteo Catalani und sein Eheweib führt.»
Der Abt wandte sich an den Mann neben ihm. «Oder, Richter, wie seht Ihr das?»
Der Richter, dessen unmittelbarer Vorgesetzter der Dittmann war, blickte mit großen Augen auf das Bild. «Tja», sprach er und strich sich über den Bart. «Da steht eine Schönheit. Eine, die der Ratsherr Dittmann mit Fug und Recht sein Eigen nennt. Auch ich kann darin keine Gotteslästerung sehen. Im Gegenteil. Hätte der Meister ihr hier und da ein bisschen weniger geschmeichelt, so müsste man ihn zur Anzeige bringen, da die Schönheit an sich unverfälschbar ist.»
Michael sah von dem Abt zum Richter und wieder zurück. «Soll das etwa heißen, Ihr, werte hochwürdige Herren, findet Gefallen an dieser Schmiererei?»
Die werten hochwürdigen Herren sahen sich an und dann den Michael, als wäre der eine Spinne mit behaarten Beinen. Dann schüttelten sie die Köpfe über seinen Unverstand, grüßten ehrerbietig den Meister und gingen von dannen. Michael, vor Wut schnaubend, eilte ihnen nach.
Rosamund fühlte eine Welle des Glücks durch ihren Körper rauschen. Der Abt, der Richter, beide hatten ihr Bild gelobt, wenn auch nicht mit Worten, die ihre Malerei betrafen. Doch hatten sie gesagt, dass ihr Bild lebt. Gab es ein schöneres Kompliment?
Mit einem breiten Lächeln stand sie vor Matteo, wies auf die Leinwand, sprach: «Was sagst du dazu? Gefällt es dir? Habe ich dich würdig vertreten?»
Rosamund hoffte so sehr, dass Matteo, nachdem er dasBild gesehen hatte, wieder mit ihr sprechen, dass er sie in den Arm nehmen würde und das alles bald wieder wie früher sei.
«Na?», drängte sie. «Was sagst du? Sprich doch.»
Matteo sah lange auf das Bild, schließlich wandte er sich Rosamund zu. Sein Gesicht war blass, in den Augen funkelte es. Er betrachtete sie so voller Verachtung, dass Rosamund zurückwich. Dann hob er den Arm, wies mit dem Finger auf die Tür und sagte mit heiserer Stimme: «Raus hier. Geh fort, und zwar schnell. Du bist nicht mehr mein Weib.»
Rosamund riss die Augen auf, wich vor ihrem Mann bis an die Tür zurück. «Was sagst du da?», stammelte sie. «O mein Gott, was sagst du da? Willst du mich verstoßen?»
Matteo schüttelte den Kopf. «Ich habe dich längst verstoßen, Rosamund. Du bist nicht mehr mein Weib.»
Vierunddreißigstes Kapitel
Betäubt lief Rosamund durch die vertrauten Gassen ihrer Heimatstadt, sah nichts, hörte nichts außer den Worten ihres Mannes. «Du bist nicht mehr mein Weib.»
Mit jedem Schritt, den sie sich von ihrem Heim entfernte, wurde ihr klarer, warum Matteo so reagiert hatte. Es fiel Rosamund nicht schwer, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Ihr Leben lang hatte sie nichts anderes getan. Und auch jetzt wusste sie, dass Matteo den Eindruck hatte, sie, sein Weib, habe ihm alles genommen. Sogar die Malerei. Für ihn musste es so aussehen, als habe sie, seit er sie kennengelernt hatte, nichts anderes im Sinn gehabt, als ihn zu vernichten. Dabei hatte sie das Gegenteil gewollt, wollte es noch immer.
Rosamund kam an der Nikolaikirche vorbei. Die Morgenmesse war lange vorüber. Jetzt lag die Kirche still und verlassen. Sie betrat das Schiff, ging bis ganz nach vorn, setzte sich auf eine Bank, presste beide Hände auf ihr wild schlagendes Herz. Sie sah zum Kreuz hinauf. Dort hing der Jesus mit geschlossenen Augen, als könne er nicht mehr mit ansehen, was vor seinen Füßen geschah. Hatte auch er sich abgewandt?
Die Welt ist kompliziert, dachte Rosamund, die Menschensind schwierig. Es ist schwierig, mit ihnen umzugehen, schwierig, sich ihnen verständlich zu machen. Am Anfang war das
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