Das Mädchen mit den Teufelsaugen
blieb stumm, und Rosamund ging noch einmal ihr ganzes Leben durch, auf der Suche nach der Schuld, die sie auf sich geladen hatte und für die nun die Zeit der Abrechnung gekommen schien. Tonia fiel ihr ein. Tonia und ihr Tod auf dem Scheiterhaufen. Da wurde Rosamund von solcher Traurigkeit gepackt, dass sie unfähig war, sich zu rühren. Ich trage die Schuld am Tod eines Menschen, dachte sie wieder und wieder. Nie habe ich um Vergebung für diese Schuld gebeten. Ich bin eine große Sünderin vor dem Herrn und vor den Menschen. Es ist kein Wunder, dass Gott mich von sich gestoßen hat.
Lange blieb sie so liegen, haderte mit sich und der Welt, dann fasste sie einen Entschluss, sprang auf, warf sich kaltes Wasser ins Gesicht, band ihr Haar zusammen, schlüpfte in den Malerkittel und eilte in die Werkstatt.
Sie besah noch einmal ihr Bild von der Maria Dittmann. Und wieder schien es ihr so gut gelungen, so anrührend, dass ihr beinahe die Tränen kamen. Sie wartete, bis in ihr nichts anderes mehr war als dieses Bild. Dann nahm sie den Pinsel zur Hand und malte. Wieder vergaß sie Zeit und Raum, hörte nicht, wie sich die Tür hinterihr öffnete und Matteo hereinkam. Er setzte sich auf den Schemel, starrte auf die Leinwand, auf seine Frau. Auf einmal sprang er auf, als wolle er seiner Frau den Pinsel aus der Hand reißen. Da trat Dietrich zu ihm, legte ihm eine Hand auf die Schulter. «Es ist ein ganz anderes Bild geworden, nicht wahr? Anders, als Ihr es gemalt hättet.»
Matteo nickte, und seine Kiefer malten. Er stellte sich hinter Rosamund, die sich nach ihm umdrehte, ihn anlächelte, ohne ihn zu sehen. Sie spürte nichts von dem, was in Matteo vorging, sondern trat einen Schritt zurück und betrachtete mit schiefgelegtem Kopf ihr Werk.
Im selben Augenblick wurde an die Werkstatttür geklopft. Dietrich, froh der Spannung ausweichen zu können, ging, um zu öffnen.
Michael stand vor der Tür und neben ihm der Richter und der Abt des Dominikanerklosters. Ohne sich mit einem Gruß aufzuhalten, stürmte er auf das Bild zu, stieß Rosamund dabei unsanft zur Seite. «Hier, seht, was ich Euch gesagt habe! Blasphemie ist das! Gotteslästerung.»
Matteo trat ihm in den Weg. «Was willst du hier? Niemand hat dich eingeladen. Warum kommst du herein und schaust dir Dinge an, die dich nichts angehen?»
«Weil sie sündig sind, deshalb.»
«Aha. Und was ist an diesem Porträt sündig?»
Er griff mit der gesunden, linken Hand nach einem Pinsel, tunkte ihn in die Farbe, setzte ein paar Lichter im Mariengesicht.
«Sündig ist», keuchte der Zunftmeister. «Dass ihr die Dittmännin als Muttergottes darstellt.»
Matteo breitete die Arme aus und lachte. Rosamund hörte den bitteren Unterton. Sie blickte in Michaels Gesicht, erkannte darin Wut und Hass.
«Woher wollt Ihr wissen, dass dies die Muttergottes ist? Stellt Ihr Euch die himmlische Maria etwa so vor? Als ein Weib, das es an körperlichen Vorzügen mit einer Eva aufnehmen kann?», erwiderte Matteo.
Michael schluckte, fuhr herum zum Abt. «Was sagt Ihr dazu, Hochwürden?»
Der Abt stieß die Luft aus, umfasste mit der rechten Hand sein Kinn. «Nun, ich sehe eine Frau, die in einen blauen Umhang gehüllt ist. Es könnte eine Maria sein, durchaus, durchaus.»
«Na bitte!»
«Und diese Maria trägt eindeutig die Züge der Dittmännin.»
«Das sage ich doch! Darin besteht doch die Ungeheuerlichkeit. Dieser Mann hier», Michael Vogt deutete mit dem Zeigefinger auf Matteo, «hat es gewagt, einer Sterblichen, einer Sünderin das Antlitz der Muttergottes zu geben. Er hat es gewagt, die Dittmännin in den Himmel zu heben!»
Der Abt runzelte die Stirn. Rosamund konnte sehen, wie es in ihm arbeitete. Hin und wieder warf er einen Seitenblick auf Michael, der, vor Selbstgerechtigkeit strotzend, mit verschränkten Armen vor der Leinwand stand, bereit, auf das Bild zu spucken, sobald es ihm jemand gestattete.
Rosamund suchte den Blick des Abtes. «Es ist die Fraudes Ratsherrn Dittmann», sagte sie leise. «Ein Mann mit viel Einfluss in der Stadt. Was würde er sagen, wenn jemand das Bildnis seiner schönen Frau für blasphemisch hielte?»
Der Abt nickte. «Nirgends steht geschrieben, wie die Muttergottes in Wirklichkeit aussah. Ich kenne Fresken in Italien, da trägt sie schwarzes Haar. Im Norddeutschen findet man ihr Haar blond.»
Michael ließ die Arme sinken. «Was soll das heißen?»
Der Abt lächelte fein. «Dass ich in dieser Sache keine Aussage treffen kann. Ich nicht
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