Das Mädchen mit den Teufelsaugen
Weile war sie fertig. Das Gasthaus hatte sich geleert, die Männer aus der Umgebung waren längst nach Hause gegangen. Zwei Reisende, die wirkten, als wären sie Abgesandte eines hohen Herrn, hatten eine Bank auf den Tisch gestellt und sich darunter aus Decken ein Nachtlager gebaut.
Die Wirtin wusch die Weinbecher ab, machte Rosamund ein Zeichen.
Sie stand auf, ging der Wirtin entgegen, die Tafel in der Hand. «Hier», sagte sie. «Mögen Gott und die heilige Anna Euer Haus schützen.»
Die Wirtin nahm das Bild, kniff die Augen zusammen, sah eine ganze Weile hin. «Das bin ich ja», stellte sie fest. «Ihr habt ja mich gemalt.»
Rosamund nickte. «Warum nicht? Niemand weiß genau, wie die Anna ausgesehen hat. Ihr tragt Ihren Namen. Warum kann sie nicht ausgesehen haben wie Ihr?»
Die Wirtsfrau lachte aus vollem Halse. «Ausgerechnet ich», rief sie. Dann schlang sie einen Arm um Rosamunds Hals, küsste sie schallend auf die Wange. «Eine Hure war ich früher, ehe der Wirt mich genommen hat, damit ich ihm die Bälger seiner verstorbenen Frau großziehe. Nun, ich hab’s getan und nicht bereut, aber eine Heilige, nein, das bin ich nicht.»
Sie schenkte Rosamund einen Becher Wein ein, noch immer über das ganze Gesicht lachend. «Schlaft im Stall, nehmt Euch eine Decke aus der Pferdebox. Und morgen früh mache ich Euch eine Schüssel Grütze. Dann aber zieht weiter, wie Ihr es vorhattet.»
Rosamund lag lange wach im Stall. Sie hörte das leise Schnauben der Pferde, das Rascheln der Mäuse, roch Hafer und Dung und genoss die Wärme, die von den Tieren ausging.
Sie hatte sich in eine Decke gewickelt und in die Nähe eines Balkens gelegt. Der Mond schien durch ein kleines unverglastes Fenster zu ihr herein, übergoss alles mit flüssigem Silber. Das möchte ich malen, dachte Rosamund. Eine Landschaft bei Nacht, eine Silbermondlandschaft.
Sie fühlte sich noch immer so leicht wie seit Wochen nicht mehr – und hatte deswegen eine schlechtes Gewissen. Seit sie fort war von zu Hause, hatte sie nicht eine einzige Träne geweint. Beinahe kam es ihr so vor, als hätte der Abschied von Frankfurt und von Matteo schon lange Zeit vorher stattgefunden. Es tat gut, nicht mehr in die vorwurfsvollen Augen eines Mannes zu blicken, der glaubte, man habe ihm das Leben verdorben. Es tat gut,die Last von der Schulter zu werfen. Nicht mehr in der Werkstatt zu stehen und ein Porträt zu malen, weil es ihre Schuld war, dass hier kein anderer stehen konnte. Denn erst jetzt wurde Rosamund klar, dass sie mit dem Porträt vor einer unlösbaren Aufgabe gestanden hatte. Einerseits hatte es gut werden müssen. Besser als alle anderen, die man je in Frankfurt gesehen hatte. Und auf der anderen Seite durfte es keineswegs so gut werden, dass Matteo sich davon überflügelt fühlte. Ja, jetzt in der Nacht konnte Rosamund es zugeben. Sie war versucht gewesen, hier und da das Porträt der Dittmännin zu verpfuschen. Für Matteo. Damit er für immer der Beste blieb. Doch sie hatte es nicht getan. Sie hatte es schlicht vergessen in ihrem Malrausch.
Handwerklich reichte sie nicht an Matteo heran. Das hatte sie festgestellt, als Michael und der Abt in der Werkstatt gewesen waren. Die Perspektive beherrschte er viel besser als sie. Und doch hatte ihr Bild die anderen berührt. Vielleicht, weil sie in ihren Pinsel alles gelegt hatte, was sie nicht aussprechen konnte. Und so war eine Aura um das Bildnis der Dittmännin entstanden, die man allein mit Handwerk nicht hervorbringen konnte.
Rosamund hatte viel verloren, ihren Mann, ihr Heim, vorher Mutter, Schwester und das Elternhaus. Ich müsste weinen, dachte sie, weinen, bis ich keine Tränen mehr habe. Aber ich kann es nicht. Vielleicht war ich doch verflucht von Anbeginn. Und noch immer fühlte sie sich auf unbenennbare Art befreit, so als läge das Leben noch vor ihr, als wäre noch alles möglich.
Der Lärm, den der Stallknecht am Morgen machte, weckte sie auf. Sie grüßte ihn, wusch sich am Brunnen das Gesicht, dann ging sie in die Gaststube. Die Wirtin begrüßte sie mit einem Lächeln, stellte ihr eine Schüssel Hafergrütze hin, dazu einen Kanten Brot, ein Töpfchen mit goldgelber Butter.
Als Rosamund aufgegessen hatte, trat die Wirtin zu ihr an den Tisch. «Nach Marburg ist es noch ein gutes Stück Weg», sagte sie. «Ihr braucht Proviant und Wasser unterwegs und am Abend einen Platz zum Schlafen. Ich kann Euch nicht viel geben, wir haben selbst kaum genug. Die schlechte Ernte, die hohen
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