Das Mädchen mit den Teufelsaugen
Und angestarrt hat sie mich, dass mir die Sinne schwanden, jawohl. Ihr ahnt ja nicht, was ich ausgestanden habe. Und nach der Geburt, da lag ich elend nieder. Wochen, Monate, und kein Arzt konnte helfen.»
Sie nickte bedeutend mit dem Kopf.
Der Büttel machte eine wegwerfende Handbewegung. «Trotzdem hast du sie behalten?»
Lisbeth zuckte mit den Achseln. «Was sollte ich tun? Ich bin nur ein schwaches Weib, welches seinem Mann gehorcht.»
Sie deutete mit dem Finger auf Ruppert. «Er war’s. Er wollte sie behalten.»
Der Büttel sah zu dem Weißbinder. «Stimmt das?»
Ruppert nickte. «Ja. Ich wollte die Tonia behalten. Mit gutem Grund. Die Meine war elend, das Kind schrie vor Hunger. Die Tonia, die hat sie mit ihrer eigenen Milch genährt. Der Hebamme war’s recht. Milch ist Milch, hat sie gesagt. Und wenn die Zigeunerin das Mädchen nicht genommen hätte, so wäre uns das arme Ding gestorben. Hätte ich mein eigen Fleisch und Blut vielleicht aufgeben sollen, nur weil die Tonia eine Zigeunerin ist?»
«Hättest dir eine andre suchen können», warf der zweite Büttel ein.
«Schon, schon, aber Eile war geboten. Und die Tonia hat nicht lange gefragt, was als Lohn zu erwarten wäre, sie hat gehandelt. Und wegen des Geldes sind wir uns immer einig geworden. Ich bin Weißbinder, kein Patrizier, komme gerade so über die Runden. Da kann ich keine Ansprüche stellen. Und dann, als mein Weib wieder gesund war, da hatte sich die Kleine an die Tonia gewöhnt, und mein Weib wollte nicht ran an das Kind, weil sie wegen seiner Geburt so viel erlitten hat. Die Tonia hat überall angepackt, und die Meine hat’s gern gesehen, wenn das Haus geschrubbt war.»
Der ältere Büttel hob die Hand. «Ist schon recht. Mit meinem Weib war’s auch nicht einfach nach dem ersten Kind. Mach der deinen noch ein paar, damit sie sich gewöhnt.»
Dann packte er die Tonia beim Strick und führte sie wie ein Kalb die Gasse hinauf.
Viertes Kapitel
Seit die Mode der Renaissance aus Italien durch die Messe auch nach Frankfurt gekommen war, blühte das Geschäft der Weißbinder. Ganze Bilder wünschte man sich, und der Weißbinder Ruppert Hoffmann war bekannt für seine gute Arbeit. Er war kein Maler, sondern Anstreicher, doch sein Gespür für Farben und Muster und sein Talent, Figuren so zu malen, dass sie für echt gehalten werden konnten, hatte sich in Frankfurt herumgesprochen. Und all jene, die sich keinen Maler leisten konnten, aber unbedingt mit der neuesten Mode gehen wollten, bestellten sich Ruppert Hoffmann und seinen Gehilfen Dietrich ins Haus, um ihre Wohnung mit Fresken zu schmücken.
Rosamund war zwar erst fünf Jahre alt, aber die Vorgänge in der Werkstatt waren ihr vertraut. Sie liebte den Geruch nach Leinöl, Pflanzen und Fett, besonders an Tagen wie heute, an denen die neuen Farben gemischt wurden.
Heute Morgen war eine Lieferung Waid aus Erfurt gekommen. Waid, eine Pflanze, die in Thüringen wuchs, wurde eigentlich von den Färbern verwandt, doch Ruppert Hoffmann benutzte die Druckpaste, den Papp, für seine Fresken.
«Rosamund, Liebes, kannst du in dem Kessel dort rühren?», fragte der Gehilfe Dietrich und strich ihr über die blonden Locken.
Rosamund nickte eifrig, während Dietrich den Kessel füllte.
«Was tust du da rein?», wollte das Mädchen wissen.
«Das ist ein Geheimnis», raunte Dietrich.
Rosamund stülpte die Lippen vor und hörte auf zu rühren.
«Verrate es mir, sonst mache ich nicht mit.»
Dietrich kratzte sich am Kinn und tat, als würde er nachdenken, dann sagte er: «Na ja, dir kann ich das Geheimnis vielleicht anvertrauen, aber du darfst es niemals jemandem sagen.»
Rosamund warf den Kopf zurück. «Ich bin gut in Geheimnissen. Die Tonia hat mir ganz viele davon erzählt. Sogar Todgeheimnisse waren dabei.»
Ruppert, der weiter hinten in der Werkstatt arbeitete, kam herüber. «Was sind Todgeheimnisse?»
«Weißt du das nicht?» Rosamund wunderte sich. «Es sind solche Geheimnisse, bei denen ein Mensch sterben muss, wenn man sie verrät.»
Ruppert hockte sich vor das Mädchen. «Und hast du diese Geheimnisse jemals irgendwem erzählt?»
Rosamund presste die Lippen aufeinander und schüttelte stumm den Kopf.
«Das ist gut so, das ist richtig», lobte Ruppert sie. «Und auch jetzt darfst du nichts davon verraten. Niemandem. Versprichst du das?»
Rosamund nickte ernst. «Wann kommt Tonia wieder?», fragte sie kläglich. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Ruppert hob die Schultern.
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