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Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Titel: Das Mädchen mit den Teufelsaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Nur manchmal knirschte es leise in den Eiszapfen, die sich an den steinernen Fenstereinlassungen der Klosterzellen gebildet hatten.
    Rosamund fror. Sie schloss die hölzernen Läden, blies in ihre blaugefrorenen Finger und zog sich das grobgestrickte Tuch eng um die Schultern. Sie war schon zwei Wochen in Mariahilf, aber noch immer hatte sie nicht das erste Gelübde abgelegt und trug nur das Kleid aus Frankfurt, dicke Strümpfe und das Tuch.
    Gleich nach dem Martinstag, dem 11.   November, hatte der Vater einen Wagen gemietet und war mit ihr nach Engeltal gefahren. Zuvor, am Morgen des Martinstages, herrschte großes Geschrei in der Weißbindergasse. Die Frauen hatten schon vor Monaten damit begonnen, eine der Gänse, die sie im Garten hielten, besonders zu mästen. Zwischen den Apfelbäumen stand die Magd mit ausgebreiteten Armen wie der Heiland am Kreuz, das Messer griffbereit im Stiefelschaft, und schrie: «Hule hule hule!» Aus den Nachbargärten erschallten ähnliche Rufe, und alsbald hatte die Hoffmann’sche Magd die richtige Gans erblickt, rannte ihr nach, nahm den schlanken, weißen Hals zwischen ihre derben, roten Hände und drehte ihn, bis es knackte.
    Rosamund hatte unterdessen die Zuber mit dem Kochwasser in den Hof geschleppt. Die Gans wurde in die Brühe eingetaucht, zuckte ein letztes Mal und war eineStunde später bereits gerupft. Zwei Stunden später war ihr Bauch mit Esskastanien, eingeweichten Semmeln, Äpfeln und Pflaumen gefüllt. Das Fett, das beim Braten ausgelassen wurde, fing Rosamund auf und rieb sogleich der Mutter den Rücken damit ein, denn die klagte über Rückenschmerzen und geschwollene Fingerknöchel. Danach kochte Rosamund das schon ein wenig geronnene Gänseblut und füllte es in einen Tonkrug, damit ein Mittel zur Hand war, wenn jemand im Haus Fieber hatte. Das Urselchen hatte eigentlich ein wenig Gänsekot mit Stroh vermischen sollen. Die alten Frauen sagten, die Mischung, verräuchert, banne böse Geister und bringe den Männern das Lendenglühen zurück, aber Urselchen scherte sich nicht darum, sondern sammelte die schönsten Federn ein und überlegte laut, wie die sich wohl als Schmuck auf einem Umhang machen würden. Also kümmerte sich Rosamund auch darum.
    Am Abend wurde das Mahl aufgetragen. Das letzte große Schlemmen vor der Fastenzeit bis Weihnachten. In den nächsten 40   Tagen bis zum Heiligen Abend würde es gerade noch so viel zum Essen geben, wie sich ziemte. Leckereien, gleich welcher Art, waren ausgeschlossen. Deshalb sah heute jeder zu, dass er sich noch einmal so richtig den Bauch vollschlug. Der Wein floss in Strömen, und Dietrich, der dem Brauch gemäß am Festmahl der Familie teilnahm, hatte schon bald eine rote Nase. Ihm, der sonst keine großen Worte machte, hatte der Wein die Zunge gelöst. Kichernd erzählte er, was er in der Gesellenstube der Weißbinder gehört hatte: «Der Philipp, derLandgraf von Hessen, der ist jetzt in Haft in den Niederlanden.»
    Der Vater nickte dazu. «Das habe ich auch gehört. Gott sei Dank ist damit die Kriegsgefahr gebannt. Mit seinen schmalkaldischen Truppen wollte er das ganze Reich zu Luther bekehren. Zum Glück ist Frankfurt eine freie Reichsstadt und untersteht direkt dem Kaiser.»
    «Kaiser hin, Kaiser her», mischte sich Lisbeth ein, die heute ausnahmsweise ein Lächeln aufgelegt hatte. Sie war gut erholt, hatte den halben Tag auf der Liege verbracht und ihren angeblich wehen Rücken gepflegt, während Rosamund die Arbeit erledigt hat. «Der Luther, der hat die ganze Welt närrisch gemacht. Eine Woche ist unsere Kirche lutherisch, in der nächsten Woche wieder altgläubig. Der Rat weiß nicht, was er tun soll. Mit dem Kaiser, dem Altgläubigen, will er sich’s nicht verderben, aber die Lutherischen, die Kaufleute, die haben das Geld. Also schwankt der rechte Glaube in Frankfurt wie eine Fahne im Wind.» Sie nickte sich selbst zu, stolz auf ihre Kenntnisse.
    «Wollt Ihr gar nicht wissen, warum der Philipp in Haft geraten ist und seine Frau nun die Geschäfte führen muss?», wollte der Dietrich wissen und nahm noch einen kräftigen Schluck vom Wein.
    «Was interessieren uns die Oberen?», fragte das Urselchen und nagte mit spitzen Zähnen an einer Keule. «Die tun immer, was sie wollen, ohne auf Recht und Gesetz zu achten. Soll der Landgraf ruhig in einem Verlies schmoren. Kaufen kann ich mir dafür auch nichts.»
    «Warum ist Philipp beim Kaiser in Ungnade gefallen?», fragte nun Rosamund, die bemerkte, dass

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