Das Mädchen mit den Teufelsaugen
und auch diese Sachen mitnehmen. Noch einmal strich sie über die Bibel. «Ich werde dich hüten», sagte sie leise. «Nichts wird dir geschehen. Du kommst an den Platz, der dir zusteht.»
Rosamund versuchte, von der Kapelle die anderen Räumlichkeiten des Klosters zu erreichen, doch es war vergeblich. Überall hingen die Deckenbalken halb herunter, knarrten gefährlich im Wind. Das Stiegenhaus war zerfallen, die Gänge verschüttet.
Sie verließ auf demselben Weg, auf dem sie hereingekommen war, das Kloster, schützte den geheimen Gang mit einem Balken und begab sich ins Gästehaus. Im ersten Stock fand sie eine Kammer, die trocken war. Ein hölzernes Bettgestell stand dort, ein Kreuz hing an der Wand. Rosamund werkelte den ganzen Tag, suchte nach Hammer und Nägeln, fand sie in den ehemaligen Pferdeställen und nagelte sich einen Wetterschutz vor das Fenster. Dann stellte sie in ihrer neuen Kammer Kerzen auf, die sie aus der Sakristei mitgenommen hatte, fand im Hof eine zerbeulte Schüssel als Waschgeschirr.
Als es dämmerte, entfachte sie das Herdfeuer, legte zwei Ziegelsteine in die Glut. Dann ging sie in die Vorratskammer, holte sich ein paar Mohrrüben und legte sie in die heiße Asche zum Abendbrot.
Die Möhren waren fast fertig, als es draußen an der Tür klopfte. Rosamund schlüpfte in die Holzschuhe und begabsich zum Hoftor, öffnete die Klappe darin. «Gelobt sei Jesus Christus.»
«In Ewigkeit. Amen», antwortete eine Stimme, die zwischen Junge und Mann lag.
«Was wollt Ihr hier?»
«Ich bin ein Geselle auf Wanderschaft. Fragen wollte ich, ob ich die Nacht hier verbringen darf.»
Rosamund äugte durch die Luke, sah ein schmales Gesicht mit blasser Haut, dünne, braune Haare und einen aufgeworfenen Jungenmund.
«Wie heißt Ihr?», fragte sie.
«Ich? Ihr meint mich?»
«Ja. Dich. Also?»
«Man nennt mich Xaver. Aus dem Bayrischen komme ich, bin ein Kannengießer auf Wanderschaft.»
Rosamund entriegelte die Tür, Xaver schlüpfte hinein, betrachtete Rosamund, sagte: «Großer Gott!», ließ das Bündel fallen und schlug sich die Hand vor den Mund.
«Was ist?», fragte Rosamund, doch Xaver kniete schon vor ihr, küsste den Saum ihres Gewandes.
«Ach, das ist es!», begriff Rosamund. «Steh auf. Ich bin keine Priesterin. Es hat gebrannt im Kloster, und ich habe nichts zum Anziehen außer dem hier.»
Der Junge stand auf, hielt aber die Blicke voller Ehrfurcht weiter auf Rosamund gerichtet. «Seid Ihr die Göttin?», fragte er, als hätte er Rosamunds Worte nicht gehört. «Das Weib vom lieben Gott?»
«Ich bin Rosamund, beinahe Benediktinerin, sonst nichts. Komm mit, es ist kalt hier draußen.»
Sie fasste ihn beim Ärmel und zog ihn mit sich ins Gästehaus.
«Zum Essen gibt es nicht viel», erklärte sie. Xaver antwortete nicht, blickte nur mit großen Augen und offenem Mund.
«Ein paar Möhren habe ich, dazu Hostien und Messwein in rauen Mengen. Du musst dir selber nehmen, was du essen magst, es gibt keine Teller und Becher hier.»
Sie reichte ihm die Kanne mit dem Wein, Xaver hob sie mit beiden Händen an die Lippen und trank. «Ist das wirklich das Blut des Herrn?»
Rosamund lachte. «Nein. Es ist nur Messwein. Leib und Blut des Herrn sind doch nur Bilder, verstehst du? Wir denken uns einfach, dass der Wein das Blut und die Hostien der Leib sind, und dann verspeisen wir beides mit Andacht und im Gedenken an den Herrn. In Wirklichkeit werden die Hostien aus Mehl gebacken und der Wein aus Trauben gekeltert.»
Xaver riss das Maul auf, glotzte und schwieg.
Rosamund musste lachen. «Hast du wirklich geglaubt, du bekommst vorm Altar ein Stückchen aus dem Schinken des Herrn zwischen die Zähne?»
«Hochwürden hat’s uns so gesagt», raunte Xaver ehrfürchtig.
«Nun weißt du, wie es wirklich ist. Hier, nimm noch eine Handvoll Hostien. Nebenan steht ein Fass mit Butter. Nimm dir davon auch. Streich auf die Hostien so viel du kannst.»
«Butter auf die Hostien?»
«Warum nicht?», entgegnete Rosamund.
Xaver schüttelte energisch den Kopf, biss vorsichtig ab, kaute langsam und bekreuzigte sich bei jeder neuen Hostie, während Rosamund aß und trank, als wäre alles so, wie es üblich ist.
Danach saßen sie im Dunkel vor dem Herdfeuer, schwiegen, starrten in die Glut. Nach einer langen Zeit fragte Rosamund: «Fragst du auch immer, wem es nützt, wenn etwas geschieht, das du nicht verstehst? Einen traf ich mal, der kam von Italien, der sagte mir, dort halten sie es so. Und ihr in
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