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Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Das Mädchen mit den Teufelsaugen

Titel: Das Mädchen mit den Teufelsaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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geschützt von einer dicken Plane, und wir müssen barfuß durch den Schnee?»
    Rosamund nickte und winkte wenig später der kleinen Kolonne nach. Die Nonnen, noch immer verstört, noch immer viel zu dünn gekleidet in ihren Nachtgewändern, stolperten hinter den schwerbeladenen Wagen her wie Stiefkinder hinter der bösen Mutter. Der Abt thronte, eingehüllt in einen dicken Pelz und weichen, gefütterten Stiefeln, auf einem Pferd und ließ sich von seinem Adlatus beständig heiße Tränke reichen. Als die Karawane hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden war, drehte sich Rosamund um und betrat den Hof. Das Tor verschloss sie ordentlich. Noch immer mit nackten Füßen tappte sie durch den Hof in das Gästehaus. Sie suchte nach einer Decke, einer alten Jacke, die jemand vergessen hatte, nach irgendetwas, um sich zu wärmen. Aber sie fand nur ein paar Holzschuhe, die dem alten Gärtner gehörten. Der Wind blies durch die offenen Fenster. Er drang in jede Ritze, wirbelte den Ruß vor sich her, als wäre es Schnee. Kein Holzladen hielt ihn mehr ab, kein Türblatt.
    Die Asche im Herdfeuer hatte noch ein wenig Wärme gehalten, und Rosamund nahm sich Händevoll davon, bedecktedas Gesicht, die rotgefrorene Nase, die Arme, die Beine damit. Dann ließ sie sich auf den Boden sinken, mit dem Rücken zur Wand. Sie war so schrecklich erschöpft. In ihrem Kopf herrschte Leere, die Augen sahen nichts mehr, die Ohren hörten nichts, der Mund hatte keine Worte mehr. Ohnehin war niemand da, dem sie etwas sagen konnte. Niemand. Kein Mensch. Nur Gott.
    Rosamund zog die Knie an, häufte Asche auf ihre Füße, schlang die Arme um die Knie und legte ihr Kinn darauf. Ich habe zum zweiten Mal mein Zuhause verloren. Dieses Mal ist es schlimmer. Beim ersten Mal wusste ich wohin. Jetzt weiß ich es nicht. Was soll aus mir werden? Wo soll ich leben? Mich von was ernähren?
    In die Stadt zurück? Mich als Magd verdingen? Im Nachthemd? Als Hilfe bei einem Bauern vielleicht. Im Winter? Sie wusste es nicht, hatte den Glauben verloren. Was sollte nur aus ihr werden? Verzweifelt rang sie die Hände. Dann übermannte sie die Müdigkeit, sie ließ sich auf die Seite fallen und schlief ein.
    Als Rosamund erwachte, war es dunkel. Der Mond schien durch die offenen Fenster. Die Kälte war noch klirrender geworden, Rosamund konnte die Glieder kaum bewegen. Einfach liegen bleiben, dachte sie. Ich habe einmal gehört, dass Erfrieren ein schöner Tod sein soll. Ganz warm, fast schon heiß soll einem werden, bevor der Mann mit der Sense kommt. Ich könnte einfach liegen bleiben. Vielleicht wäre es vorbei, bevor der Morgen graut.
    Schad wäre es nicht um mich, keiner würde es merken. Den Abt kümmert’s nicht, die Schwestern haben eigeneSorgen, und der Mutter und dem Urselchen ist alles recht, solange ich nicht wieder vor ihrer Tür stehe. Auch dem Vater würde es nur Ungemach bereiten, käme ich zurück. Und ich will ja auch gar nicht zurück und mich ewig in der Werkstatt verstecken. Freunde möchte ich haben. Wenigstens einen. Reden würde ich mit ihm und lachen und weinen und trösten und Trost empfangen. Wir könnten uns an der Hand halten, wenn der Wind zum Sturm wird, einer könnte dem anderen ein Licht reichen in der Dunkelheit.
    Widerwillig zwang sich Rosamund zum Aufstehen. Sie suchte nach Holz, fand da ein Tischbein, dort einen kaputten Weidenkorb, woanders das Stück eines Holzladens. Sie kroch auf Knien im Mondenschein durch das Gästehaus, sammelte Abgesplittertes und Vergessenes, trug alles zusammen und entfachte mit steifen Fingern das Herdfeuer. Sie blies hinein in die zarten Zünglein, und warm wurde ihr vom Blasen und nicht vom Feuer. Endlich brannte es, endlich wurde es Rosamund warm um die Brust, die Beine. Sie drehte sich vor dem Feuer, als wäre sie ein Huhn am Spieß, konnte nicht genug bekommen von der Wärme, lief hinaus, holte Schnee, leckte den lockeren Ball mit der Zunge auf. Dann legte sie sich vor den Herd und schlief erneut ein.
    Am nächsten Morgen beschloss sie, dass sie weiterleben wollte. Hier, in Mariahilf. Sie fand in einer Ecke einen alten Lappen, der früher benutzt wurde, um die Küchenfliesen sauber zu waschen. Jetzt war er trocken und steif. Mit Händen und Zähnen riss Rosamund ihn inStreifen, umwickelte ihre Füße damit, steckte diese in die Galoschen des Gärtners. Dann begab sie sich in die Vorratskammer, die sich neben dem Gästehaus befand. Dort waren die Regale umgestoßen worden, und Rosamund zerrte sie mit

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