Das Mädchen mit den Teufelsaugen
verdirbt er uns die gute Gesellschaft, die wir haben. Dein Michael …» Er deutete mit dem Finger auf die Ursula. «Der ist auf jeden Fall dagegen.»
«Wer ist es? Wer ist es? Etwa der, von dem es heißt, er male Frauen, die ihm ganz und gar nackt Modell stehen müssen?»
Ursulas Wangen hatten sich vor Aufregung gerötet. Jetzt mischte sich auch die Mutter ein. «Den lass mal lieber, wo er ist. So einer bringt uns noch Unzucht in die Stadt. Wenn das dort, wo er herkommt, so Sitte ist, dann soll er doch wieder dorthin zurückgehen. Wir Frankfurter sind anständige Menschen.»
Der Vater schüttelte leicht den Kopf. «Darum geht es nicht. Nackt oder angezogen. Es geht um die neue Art zu malen, eine neue Art der Kunst, abgeguckt von den alten Griechen. In Florenz ist es längst an der Tagesordnung, Männer und Frauen nackt zu malen. Ich sehe nichts, was dagegen spricht. Gott lässt uns ja auch nackt zur Welt kommen.»
«Unzucht ist das, jawohl», schimpfte Lisbeth. «Da wird den Männern nur der Mund wässrig gemacht. Sind so schon alles geile Böcke. Wenn noch überall Nackische von den Wänden lachen, dann wird es in Frankfurt bald zugehen wie im Freudenhaus. Soll er doch die Kebsweiber malen, die sind sowieso den ganzen Tag nackt.»
Rosamund beugte sich über den Tisch. «Wie malt er?», wollte sie wissen.
«Mit der italienischen Perspektive», sagte der Vater. «Er hat wohl bei Ghirlandaio gelernt, sagte er, und dem Botticelli über die Schulter geschaut.»
«Du meinst, er malt so wie Michelangelo?»
Der Vater nickte. «Er ist ein Künstler durch und durch. Sein Pech ist es, dass es in Frankfurt so viele Krämerseelen gibt, die nichts verstehen von der Kunst.»
Er seufzte, schob seinen Teller von sich und verschränkte die Arme auf der Tischplatte.
«Malt er nur die schönen Frauen?», wollte Ursula wissen. «Und werden die dann berühmt?»
«In Italien ist das wohl so. Von Sandro Botticelli heißt es, er habe ein weibliches Idealbild geschaffen.» Er hielt inne, hob den Zeigefinger in die Höhe. «Ein Ideal, welches sein Vorbild in der Wirklichkeit hat. Simonetta Vespucci hieß die Frau in Wirklichkeit, und war bald die berühmteste Frau in ganz Italien.»
Ursula schaute über den Kopf des Vaters hinweg in die Ferne. «Ob ich wohl als Modell tauge? Meine Brüste sind hoch und fest, die Taille schmal, die Hüfte ausladend. Sag, Vater, wäre ich geeignet?»
Der Vater brummte nur und machte eine wegwerfende Handbewegung, aber das Urselchen ließ nicht ab von ihrem Einfall. «Er könnte mich malen. Ein Bild für die eheliche Schlafkammer. Da würde der Michael immer sehen, wie schön ich bin, und würde es nicht vergessen nach dem ersten Kind. Und wenn ich gar erst berühmt würde, so würde ich zu jedem Fest eingeladen, und die Herren würden sich um einen Tanz mit mir raufen.»
Der Vater sah Ursula an, als hätte die den Verstand verloren. Er öffnete den Mund, als wolle er etwas sagen, doch schon schloss er ihn wieder, winkte nur ab und verließ die Küche in Richtung Werkstatt.
Lisbeth seufzte. «So geht es mir seit Jahr und Tag mit ihm. Immer hat er etwas im Kopf und denkt sich den Himmel auf die Erde, aber eben nur den Himmel in den Farben. Sonst nichts. Mich hat er ganz vergessen. Nicht einmal ein Bild im Schlafzimmer könnte daran was ändern.»
Ursula kicherte. «Das wird mir mit Michael nie passieren», behauptete sie stolz. «Ich werde schon dafür sorgen, dass mich der meine nicht vergisst.»
Jetzt stand auch Rosamund auf und folgte ihrem Vater in die Werkstatt.
«Du würdest ihn gern aufnehmen, den Fremden, nicht wahr?», fragte sie.
Der Vater bejahte. «Wir könnten viel lernen von ihm. Seit Jahren machen wir dasselbe, von den neuen Entwicklungen jenseits der Alpen kriegen wir nichts mit, weil keiner von uns die Zeit hat, dorthin zu reisen.»
«Und warum sträuben sich die anderen?», wollte Rosamund wissen.
Der Vater seufzte. «Sie haben Angst, er könnte ihnen die Aufträge wegnehmen. Sie haben Angst vor Veränderungen. Sie haben Angst um ihre Stellung.»
Rosamund nickte. Sie wusste, dass die Leute so waren, dass sie sich die Welt so hinbogen, bis es in ihr kleines Leben passte.
Während in der Werkstatt der Alltag seinen Lauf nahm, ging es im Haus nur noch um die Hochzeit, die am 15. August, am Marientag, stattfinden sollte. Die Verlobung hatte mehr Geld gekostet, als dafür vorgesehen war, hatte auch Rosamunds Zuschuss ganz und gar verschlungen, und nun wollte Lisbeth
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