Das Mädchen mit den Teufelsaugen
sparen, aber doch so, dass es niemand merkte. Am 15. August waren die Kirchen und Plätze der Stadt zu Ehren der Muttergottes geschmückt. Das hieß für Lisbeth, dass sie um die Kosten für den Kirchenschmuck herumkam und sich für das Eingesparte ein neues Kleid schneidern lassen konnte. Außerdem lag der 15. August direkt vor dem Datum für die Herbstmesse, für Urselchens Messewünsche war dann der Michael verantwortlich.
Das Urselchen dagegen greinte, sie bräuchte einen Schmuck, denn es hieß doch: Geborgtes, Altes, Neues und Geschenktes.
Es konnte nicht sein, dass das Neue ausgerechnet das Billigste war. Frankfurt sollte sehen, wer sich da das Jawort gab. Und so stritten die Mutter und das Urselchen, riefen die Magd zur Schiedsrichterin und schlugen gemeinsam auf das arme Ding ein, wenn sie mit dem Schiedsspruch nicht einverstanden waren. Und das waren sie nie.
Der Bräutigam, Rosamund sah es, ohne es zu wollen, kam regelmäßig, um seine Braut zu Spaziergängen in den Garten zu entführen, was lächerlich war, da der Garten gerade zwanzig Schritt in der Länge und fünfundzwanzig Schritt in der Breite maß. Aber außer ihr schien das niemandem aufzufallen.
Doch eines Tages, es war Anfang Juni, drang ein solcherLärm aus dem Wohnhaus, dass der Vater und Rosamund ihre Werkzeuge fallen ließen und in die Küche eilten.
Die Mutter stand vor dem Herd, hatte die Ursula bei den Haaren gepackt und drosch mit dem Kochlöffel auf sie ein, dabei schrie sie mit sich überschlagender Stimme: «Du Hure, du hast Schande über uns gebracht.» Der Kochlöffel klatschte auf Ursulas Rücken, auf den Hintern, auf den Kopf und in den Nacken, die Augen der Mutter rollten wild, und sie schrie, bis ihr der Atem ausging.
Der Vater trat zwischen die beiden, entriss der Mutter den Kochlöffel, und sogleich flüchtete sich die Ursula in Rosamunds Arme.
«Was ist hier los?», wollte der Vater wissen.
Die Mutter schlug die Hände vor das Gesicht und begann zu flennen. «Schande hat sie über uns gebracht. Schande! Benommen hat sie sich wie eine läufige Hündin. Wie stehen wir jetzt da? Was sollen die Leute von uns denken, wenn die da mit dickem Bauch vor dem Altar steht.»
Rosamund strich ihrer Schwester über den geschundenen Rücken. «Du bist jetzt also schwanger?»
Das Urselchen nickte, während ihr die Tränen über die Wangen rannen, doch zugleich schob sie trotzig die Unterlippe nach vorn. «Er ist mein Verlobter, er hat mich gedrängt. Eine Frau muss gehorchen. Was hätte ich denn machen sollen?»
«Deine Tugend hättest du hüten sollen wie einen Schatz. So macht das jede anständige Frau. Du aber mit deinem heißen Schoß hast uns entehrt. Was wird, wenner dich jetzt nicht mehr will, der Michael Vogt?», keifte die Mutter.
Der Vater führte seine Frau zur Küchenbank, goss ihr einen Becher Wein ein. «Da, trink und beruhige dich. Es ist, wie es ist. Jetzt müssen wir sehen, dass wir das Beste daraus machen.»
Das Urselchen wischte sich die Tränen mit den Fäusten aus den Augen, ließ ihren Blick von einem zum anderen wieseln und verkündete dann mit kläglicher Stimme: «Die Rosamund war’s. Die ist schuld.»
«Wie bitte?»
Rosamund fuhr erstaunt zu ihrer Schwester herum. «Was sagst du da?»
«Ja. Du bist schuld. Du hast aus meiner Hand das Unglück gelesen. Hättest du das nicht getan, so hätte ich jetzt noch meine Tugend.»
Rosamund schnappte nach Luft, sah zu Lisbeth, aber die hatte schon wieder etwas Farbe im Gesicht und betrachtete ihre älteste Tochter interessiert. Rosamund war wütend. Sie drehen es, wie sie es brauchen, dachte sie.
Dann blickte sie dem Urselchen fest in die rotgeweinten Augen. «Sag bloß, wenn in deiner Hand etwas anderes gestanden hätte, wärst du nicht mit deinem Verlobten immerzu im Garten ‹spazieren gegangen›?»
Sie betonte die letzten beiden Worte so, dass sie einen höhnischen Anstrich bekamen. Aber das Urselchen war bereits überzeugt, an ihrem Zustand nicht die geringste Schuld zu haben.
«Du warst es, die mir Unglück vorausgesagt hat. Du hast mir gedroht, dass ich nicht von Herzen glücklich werden kann. Was sollte ich denn tun?» Sie hob beide Hände in Brusthöhe, sodass die freien Handflächen nach oben zeigten. «Ein bisschen was vom Glück wollte ich auch. Ist das ein Verbrechen?»
Die Mutter nickte. «Es ist wahr. Du hast der Ursula aus der Hand gelesen. Du bist eine Heilige. Die Leute stellen uns jeden Tag Gaben für dich vor die Tür. Jetzt
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