Das Mädchen mit den Teufelsaugen
kümmere dich darum, dass die Tugend vom Urselchen bald wieder wie neu ist.»
«Und wie soll ich das anstellen?», fragte Rosamund verblüfft. Niemals wäre sie auf den Gedanken gekommen, dass man ihr die Schuld an Urselchens Schwangerschaft in die Schuhe schieben konnte. Wie auch? Sie hatte ja nicht am Baum gelehnt mit hochgeschobenen Röcken und losen Schnürleibchen.
«Jeder ist seines Glückes Schmied selbst», sagte sie. «Ich habe euch oft genug gesagt, dass ich keine Heilige bin. Und nicht ich habe die Linien in Urselchens Hand gezogen. Dass du schwanger bist, ist deine eigene Schuld. Ich habe damit nichts zu tun. Ich kann dir das Kind nicht aus dem Bauch holen. Und selbst wenn ich es könnte, so wäre das eine große Sünde wider Gott. Wie kann eine Heilige sich gegen Gott richten?»
Rosamund dachte, dieses Argument sei nicht widerlegbar, doch sie hatte sich getäuscht. Die Not machte das Urselchen noch erfinderischer als sonst. «Heilige hin, Heilige her. Du kannst Dinge machen, die andere nichtkönnen. Ich bin deine Schwester. Meine Tugend ist in Gefahr, unser guter Ruf ist in Gefahr. Also tu etwas dagegen.»
Rosamund hatte die Arme verschränkt vor sich auf den Tisch gelegt. Ein Lächeln stahl sich über ihr Gesicht, ließ die Augen blitzen. «Das wäre Teufelswerk, ihr wisst es. Aber ich bin eine Heilige, sagen die Leute.»
«Heilige, Teufelin. Wo ist da der Unterschied?», greinte das Urselchen. «Jedenfalls bist du kein normaler Mensch wie wir.»
Michael Vogt, so erfuhr Rosamund später, hatte die Nachricht von seiner baldigen Vaterschaft schweigend aufgenommen. Wortlos war er aus dem Salon der Mutter, wo ihm die Neuigkeit verkündet worden war, in die Werkstatt gegangen. Stumm hatte er neben Ruppert Hoffmann, dem baldigen Schwiegervater, gestanden und mit brennenden Augen dessen Arbeit verfolgt.
Gerade war Ruppert dabei, eine Zeichnung für das letzte Stück eines Freskos im Hause des Kaufmanns Stetten anzufertigen. Noch in derselben Woche sollte die Arbeit zu Ende gebracht werden.
«Willst du mir helfen?», fragte der Vater seinen künftigen Schwiegersohn. Der stand starr und stumm und antwortete nicht.
Nach einer Weile ging er schweigend von dannen.
Während das Urselchen und die Mutter darauf warteten, dass Michael wiederkam, vollendete Ruppert das Wandfresko, welches sein letztes sein sollte.
Doch kaum zierte das Werk den Saal der Stettens, wurde in deren Haus ein Einbruch verübt. Die Diebe stahlen nichts, doch sie beschmierten das Fresko mit Blut und Kot. Und niemand wusste, ob der Anschlag dem Kaufherrn oder dem Weißbinder gegolten hatte.
Achtzehntes Kapitel
Eine Heilige ist eine Provokation, dachte Rosamund, als sie wieder in der Werkstatt war und Leinöl in die geriebenen Farben mischte. Eine Heilige ist unverständlich, weil sie keine irdischen Wünsche hat. Keine Sehnsucht nach irdischem Ruhm, nach immerwährender Schönheit oder einer Truhe voller Goldgulden, die man für Kleider und Tand ausgeben könnte. Für Ursula und die Mutter bin ich ein Ärgernis. Sie dürfen mich nicht mögen, weil ich all das, was ihnen wichtig ist, nicht benötige. Sie fragen nie, ob das wirklich so ist. Sie haben es beschlossen, um mich heilig zu halten, solange es ihnen nützt. Sie benutzen mich und meinen Ruf, um ihre Reichtümer zu vermehren.
Der Vater kam zu ihr, legte seine harte Hand auf den Rührlöffel, mit dem sie das Leinöl unter die Farbe mischen wollte. «Was sollen wir tun?», fragte er. «Eine Woche lang wissen wir es nun, und ich dachte, das Schlimmste wäre überstanden. Aber nun? Und der Michael kommt und kommt nicht.»
Rosamund zuckte mit den Schultern. «Hat sie es ihm gesagt?»
Der Vater nickte. «Das musste sie doch. Wir haben Juni.Im August wird auch der Letzte erkennen, dass das Bäuchlein nicht von den Lebkuchen zu Weihnachten stammt.»
«Und was hat er gesagt, der Michael?»
Der Vater winkte ab, seine Augen wurden ganz dunkel. «Gesagt hat er nicht viel. Nur, was es für ihn bedeutet, eine Frau zu heiraten, die keine Tugend mehr hat. Schlecht fürs Geschäft, schlecht für den Ruf.»
«Aber er war es doch, der sie geschwängert hat», warf Rosamund ein.
«Das zählt nicht, darum geht es nicht. Das Urselchen ist eine Schande. Weggeworfen hat sie sich vor der Hochzeit. Das allein zählt. Er muss nachdenken, hat er gesagt. Es gäbe viele Jungfrauen in der Stadt, die sich nach ihm alle zehn Finger lecken und ihre Tugend nicht herschenken würden wie einen Korb
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