Das Mädchen mit den Teufelsaugen
dass er denkt wie ein Mensch. Aber er ist Gott.»
Der Großmeister lachte. «Ihr seid ein kluger Mann, Matteo Catalani. Aber hat uns Gott nicht nach seinem Bild geschaffen?»
«Ja. Das hat er. Und in uns wohnt das Böse wie das Gute. Wären wir nur nach seinem Bild, woher kommt dann das Böse in uns?»
«Diese Frage findet ihre Antwort erst, wenn man von der Annahme ausgeht, dass Gott und der Teufel ein und dieselbe Macht sind.»
Matteo schüttelte den Kopf. «Darüber muss ich nachdenken. Was Ihr sagt, klingt logisch. Aber für mich sind diese Gedanken ungewohnt.»
«Was habt Ihr Euch dann von uns erhofft?», fragte der Großmeister.
Matteo zuckte mit den Achseln. «Ich sagte schon, ich bin als Fragender gekommen.»
«Nun, Eure Fragen habe ich beantwortet. Doch scheint mir, die Antworten sind nicht nach Eurem Geschmack.»
«Lasst mir ein wenig Zeit, Herr, um alles gründlich zu bedenken.»
«Die Zeit sollt Ihr haben. Bedenkt besonders zwei Fragen: Wem nützt der Teufel? Und warum hat Gott die Menschen geschaffen? Wenn Euch unsere Antworten nahestehen, wenn Ihr darüber debattieren wollt, so seid Ihr jederzeit gern gesehen. Ihr findet uns immer hier. An jedem Dienstag und Donnerstag treffen wir uns zur siebten Stunde. Kommt auch, wenn Ihr weitere Hilfe benötigt. Es ist nicht so, dass wir hier immer alle einer Meinung sind. Der Glaube muss lebendig sein, sagte Trithemius. Und diesem Credo fühlen wir uns verpflichtet.»
Matteo stand auf. Sein Kopf brummte, doch zugleich fühlte er sich auf eine besondere Art beschwingt. Hier war keine Teufelei zu fürchten. Hier stand etwas anderes im Mittelpunkt. Etwas, das er womöglich mit seinen Gedanken fassen konnte, verstehen konnte.
«Ich danke Euch, Herr», sprach er und verbeugte sich leicht.
Da endlich trat der Mann aus dem Halbdunkel. Matteo erstarrte, als er in dem Großmeister der Geheimen Bruderschaft den ersten Rechtsbeirat des Rates der Stadt Frankfurt erkannte. Vor ihm stand der Dr. der Jurisprudenz und Ratsherr Peter Dittmann.
Neunundzwanzigstes Kapitel
Matteo wusste später nicht mehr, wie er nach Hause gekommen war. Er hatte keine Erinnerungen an den Weg, wusste kaum, ob es Tag oder Nacht war, ob es regnete oder ob der Wind wehte. Er war so in Gedanken versunken, dass er beinahe das heimliche Pförtchen im Stadttor verpasst hätte, durch das zu später Stunde die Nachtschwärmer hereinströmten. Ohne hinzusehen, zückte er seine Börse, drückte dem Torwächter ein Geldstück in die Hand und schlich nach Hause.
Rosamund wartete in der Wohnstube auf ihn. «Wie war es?», wollte sie wissen. «Du musst mir alles ganz genau erzählen.»
Matteo ließ sich in einen Armlehnstuhl fallen und presste eine Hand auf seine Stirn, dann schüttelte er den Kopf. «Es war das Merkwürdigste, das ich je erlebt habe», sagte er und erzählte Rosamund die Begebenheiten des Abends in allen Einzelheiten.
Rosamund schien weniger überrascht als Matteo. Im Gegenteil. Mit einem Mal war sie hellwach, der Körper gespannt, die Augen voller Glanz. «Ja, ja», rief sie. «Zwei Seiten derselben Münze. Ja. Das kenne ich, das weiß ich, das habe ich schon selbst erlebt.»
Matteo sah sie verwirrt an. «Ich verstehe dich nicht.»
«Früher, als ich noch ein junges Mädchen war», berichtete Rosamund, «da erzählten mir alle, dass jeder Mensch einen Schutzengel habe. Der Herr habe allen einen Engel zur Seite gestellt. Natürlich einen guten Engel. Was sonst! Eines Tages lud mich der Falk zum Maientanz ein. Ich bat meinen Schutzengel, dafür zu sorgen, dass ich mit ihm dorthin gehen könnte. Aber die Ursula bat ihren Schutzengel, dass er sich dafür einsetzen sollte, dass sie mit dem Falk gehen könnte. Ursulas Schutzengel war stärker als meiner. Sie hatte gewonnen. Also war in diesem Fall Ursulas Schutzengel mein Teufel. Und wenn das so ist, dann steckt in jedem Engel auch ein Teufel. Verstehst du?»
Matteo presste erneut die Hand gegen seine Stirn und schüttelte den Kopf. «Das ist alles zu viel. Ich bin kein Philosoph, nur ein Maler.»
«Ich nehme ein anderes Beispiel. Stell dir vor, der Rat der Stadt schreibt den Auftrag aus, den Ratssaal mit einem Fresko zu schmücken. Michael bittet Gott um diesen Auftrag. Und du tust dasselbe, vielleicht sogar, weil uns das Wasser bis zum Halse steht. Am Ende bekommt Michael den Auftrag, und wir müssen hungern. War da Michaels Gott nicht dein Teufel?»
Matteo stöhnte auf, ließ sich von Rosamund das Fläschchen mit dem Minzöl
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