Das Mädchen mit den Teufelsaugen
erklärte der Großmeister. «Es heißt, Ihr hättet bereits Kontakt zur Bruderschaft.»
«Das ist nicht richtig», erklärte Matteo. «Aber ich bin viel herumgekommen, bin fremd in der Stadt. Die Leute reden viel, wenn einer fremd ist.»
«Das ist wahr. Was also wisst Ihr über uns?»
«Nicht als Wissender bin ich hier, sondern als Fragender.»
Der Großmeister nickte. «Das gefällt mir. Also fragt, was immer Ihr fragen wollt. Doch zuvor nehmt Platz und bedient Euch aus der Weinkanne.»
Matteo tat, wie ihm geheißen. Er trat ein paar Schritte nach vorn und konnte plötzlich einen Altar erkennen, der jedoch gänzlich anders war als alles, was er bisher gesehen hatte. In der Mitte des Altars prangte ein Wappen, in dessen Mitte sich die Sieben befand. Daneben stand ein Stundenglas, auf der anderen Seite eine Kerze. Vor dem Wappen aber lagen ein paar Taubenfedern und ein Totenschädel.
Matteo setzte sich, nahm sich einen Becher Wein. Auch der große, stattliche Mann setzte sich – Matteo hörte einen Säbel leise klirren –, doch er sorgte dafür, dass sein Gesicht weiterhin verborgen blieb.
«Was steht in der Schrift ‹De septum secundeis›?», fragte Matteo.
«Trithemius beschreibt darin, dass Gott die Herrschaftan sieben Dämonen abgetreten hat, die von nun an die Welt regieren.»
«Und die Bruderschaft? Glaubt sie auch daran?»
«Nein.» Der Großmeister schüttelte den Kopf. «Wir haben die Schriften des Trithemius weiterentwickelt. Viele von uns haben in Italien studiert, sind kundig in der Philosophie. Ihr kommt von dort, wisst sicher auch einiges darüber.»
Matteo nickte. «Ich war am Hofe der Medici in Florenz.»
«Gut. Das ist sehr gut. Dann klebt ihr wohl nicht am Alten, sondern seid in der Lage, eigene Gedanken zu entwickeln.»
«Ja, gewiss. Sonst wäre ich auch nicht hier. Wie habt Ihr die Schrift weiterentwickelt?»
«Glaubt Ihr an den Teufel?», fragte der Großmeister, ohne auf Matteos Frage einzugehen.
«Ich weiß nicht, wie und wer der Teufel ist, und kann mir deshalb kein Bild machen. Mit Gott ergeht es mir ebenso», erwiderte Matteo.
«Dann sind wir uns beinahe einig. Wir glauben, dass Gott und Teufel zwei Seiten derselben Münze sind. Habt Ihr Euch je gefragt, wem der Teufel nützt?»
«Ja, schon oft. In Florenz haben wir darüber debattiert. Aber ich habe keine Antwort gefunden.»
«Nun, ich will es Euch sagen. Dem Menschen nützt der Teufel nichts. Gäbe es aber das Schlechte nicht in der Welt, so bräuchten die Menschen keinen Gott, der sie von ihrer Schuld erlöst.»
Matteo schnappte nach Luft. «Soll das heißen, dass Gott den Teufel geschaffen hat, um die Menschen von sich abhängig zu machen?»
«So könntet Ihr es nennen. Und habt Ihr Euch schon einmal gefragt, was Gott eigentlich ohne die Menschen machen würde?»
«Gott ohne den Menschen? Aber er war es doch, der den Menschen geschaffen hat.»
«Das ist richtig. Aber warum? Wozu braucht Gott die Menschen? Wofür dienen sie ihm?»
Matteo zögerte. «Diese Frage habe ich nie gestellt. Gott ist Gott. Er ist unser Herr, er ist der Allmächtige. Man fragt nicht nach seinen Gründen.»
«Warum nicht?»
«Weil er eben Gott ist.»
«Nun, ich – oder besser gesagt, die Bruderschaft, die fragt. Gott hat uns Verstand gegeben. Also hat er uns auch die Fragen gegeben. Und wir fragen: Wozu braucht Gott die Menschen. Seid Ihr bereit, Euch mit dieser und ähnlichen Frage auseinanderzusetzen?»
«Ja», erwiderte Matteo ohne Zögern.
«Gut. So frage ich Euch: Was würde aus Gott, wenn es die Menschen nicht gäbe?»
«Er braucht uns nicht, denke ich. Er ist Gott.»
«Glaubt nicht, wir würden uns im Kreis drehen, wenn ich erneut frage: Warum hat Gott dann den Menschen erschaffen?»
Matteo fühlte sich auf einmal sehr erschöpft und müde. In seinem Kopf drehten sich die Gedanken wiedie Mainstrudel bei Hochwasser. «Sagt es mir, ich bitte Euch.»
«Wir glauben, dass Gott die Menschen erschaffen hat, weil er jemanden braucht, der an ihn glaubt. Ohne uns, ohne unsere Gebete und Bitten, ohne unsere Liebe und ohne unsere Schuld wäre Gott nicht Gott. Wir, die Menschen, machen ihn erst durch unseren Glauben zu dem, was er ist. Der Allmächtige.»
Matteo schluckte. «Darüber muss ich nachdenken.»
«Trinkt noch einen Becher Wein, dann werdet Ihr wieder klarer im Kopf.»
Matteo gehorchte. Er trank, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, dann sagte er: «Ihr gebt dem Herrn menschliche Züge. Ihr unterstellt ihm,
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