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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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nicht. Als die Hure schon am Gitter stand, zog Marike die bronzene Gewandnadel mit dem Augengesicht aus dem Gewand und ließ sie klirrend zu Boden fallen. »Ich schreie.« Die Frau verharrte. Dann drehte sie sich um, betrachtete die Nadel und zuckte mit den Schultern.
    »Ja und?«
    »Ich schreie, du seiest hier eingebrochen, um Kirchenschätze zu stehlen, und hättest mich dann angefallen. Hier in Lübeck werden Frauen schon für den Diebstahl von Gewändern hingerichtet, Anna!« Die Frau zögerte.
    »Weißt du, wie sie sterben?«, fragte Marike kühl. Die Hure schüttelte den Kopf. »Sie werden unter dem Galgen bei lebendigem Leibe eingemauert.« Das entsprach sogar der Wahrheit. »Ich kann mir kaum einen schlimmeren Tod vorstellen, als diesen – in einem Holzsarg eingenagelt zu werden und dann bei vollem Bewusstsein säckeweise Erde über sich zu wissen«, fuhr Marike fort. »Pater Martin sagte, man ersticke irgendwann. Aber vorher weiß man, dass man schreien und weinen kann, so viel man will – niemand wird einen hören.«
    Diese Rede verfehlte ihre Wirkung nicht. Die Fiedlerin zog den zerrissenen Ärmel ihres Kleides vergeblich hoch und machte ein, zwei Schritte zurück in die Kapelle.
    »Doch Pater Martin ist jetzt tot. Und weißt du, warum?« Die Hure schüttelte stumm den Kopf und legte ihn dann schief, um sie genau im Auge zu behalten. Dadurch wirkte sie noch mehr wie eine Krähe.
    Marike blinzelte zornig, als ihre Augen feucht wurden. »Wegen deines verfluchten Flötenspielers!«
    Die Hure starrte sie ungläubig an. »Wegen – wegen ihm?« Sie spielte kurz mit einem Lederband, das um ihren Hals hing und dessen Ende unter dem Stoff verschwand, dann verschränkte sie die Arme vor der Brust. »Na klar! Wenn was passiert, sind wir schuld. Schlag nur den Gaukler. Dann siehst du das Gelichter in den eigenen Reihen nicht!«, fauchte sie. »Ich dachte, du wärst anders!«
    Marike blinzelte überrascht. Mit einer so heftigen und ehrlichen Reaktion hatte sie nicht gerechnet. Doch ihr Vater sagte immer, dass diesen Leuten das Lügen in die Wiege gelegt wurde und man ihnen nicht trauen durfte. »Er hängt in den Morden mit drin, das weiß ich genau!«, zischte sie zurück. »Im Rovershagen auf dem Fest hat er mir gedroht. Wenn ich mich nicht um meine eigenen Angelegenheiten kümmerte, würden Menschen sterben, die mir nahestehen. Und dann sind sie gestorben, einer«, Marike schluckte die Tränen hinunter, »einer nach dem anderen!«
    »Ah«, machte Anna. »Und deshalb ist er gleich der Mörder?«
    »Er hat mit Lynow zu tun gehabt!«, spie Marike aus. »Ich weiß ja, dass hoch angesehene Lübecker Bürger mit drinhängen! Aber sag mir nicht, dein Kerl wäre unschuldig!«
    Die Hure musterte sie nun recht nüchtern. Sie zuckte mit den Schultern, sodass der aufgerissene Ärmel herunterrutschte. »Du willst es ja nicht hören«, erwiderte sie dann müde. »Und er ist nicht mein Kerl.«
    Endlich schien die Hure nachzugeben. »Wer ist der Flötenspieler?«, fragte sie also etwas sanfter.
    »Wie – wer soll er schon sein? Wir nennen ihn den Pfeifer. Er ist von wendischem Blut. So wie ich«, gestand sie. Man duldete die Wenden in Lübeck nur und begegnete ihnen mit Misstrauen, da sie oft Diebe und Strolche waren.
    »Dir sieht man das gar nicht an«, stellte Marike fest. Sicher, sie hatte dunkles Haar und im Gegensatz zu den blassen Lübeckern eine leicht getönte Haut.
    Draußen vor der Gallinkapelle näherten sich Schritte und Stimmen. Marike legte den Finger auf die Lippen und huschte zur Tür, um durch das vergitterte Guckloch zu lugen. Die Stifterfamilie dieses Altars wäre sicher nicht sehr glücklich darüber, wenn sich Fremde hier herumtrieben. Es war schwierig, die Gestalten richtig zu erkennen, doch den Gewändern nach waren es Männer. Marike hielt den Atem an, als sie auf die Kapelle zukamen und sich dabei unterhielten.
    »Dumm, dass ausgerechnet in diesen Zeiten Pater Martin nicht mehr die Beichte abnehmen kann«, meinte ein jüngerer Mann. Der andere schien älter und grummelte vor sich hin: »Pest oder nicht – der war mir zu radikal, der Martin, mit all seinen ulkigen Einfällen von Kirche und Glauben. Der Nikolaus war da schon besser – aber der is’ ja nu’ auch dot.«
    Die Männer waren nun genau vor der Tür, und Marikes Gedanken überschlugen sich. Wie sollte sie denen erklären, warum sie sich hier aufhielten? Und warum sie selbst sich hier mit einer so liederlich gekleideten Frau befand? Das konnte

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