Das Mädchen und der Schwarze Tod
der anderen Seite der Kirche in der Südervorhalle, wo es wegen der Bauarbeiten wüst aussah, und sprach mit Bürgermeister Wittik. Marike war ganz froh darum.
Bei Gesprächen durfte man ihn nicht stören, und so konnte sie ihren Zorn noch ein wenig abreagieren, ohne dem Vater Rede und Antwort stehen zu müssen. Daneben warteten Frederik und Alheyd. Besonders die Magd funkelte ihre Herrin nun zornig und doch erleichtert an. »Da seid Ihr ja, Herrin! Dass Ihr sogar in diesen Zeiten immer weglaufen müsst! Wo …«
Doch Marike winkte ab. Sie signalisierte dem Vater, dass sie draußen im Marienhof warten würde, und schob die schwere Kirchtür auf. »Herrin!«, rief Alheyd und folgte ihr empört.
Draußen hing die schwüle Luft wie ein dicker Vorhang. Nach dem kurzen Wind der letzten Tage braute sich die Hitze nun wieder zusammen und schlug auf Kopf und Gemüt. Marike stapfte auf und ab, um sich zu beruhigen, doch sie hatte nur wenig Erfolg damit. Sie blieb stehen und verschränkte die Arme. Warum machte der Maler sie so wütend? Oder war es eher der Schmerz darüber, wie er sie behandelt hatte?
»Ihr könnt doch nicht immer weglaufen! Die Pest!«
»Lass mich in Ruh damit! Ich werde mir hier nicht die Pest holen!«
»Aber, Herrin! Nicht umsonst nennt man’s auch den Unsichtbaren Tod. Woher wollt Ihr’s wissen?«, schimpfte Alheyd schrill. »Ihr bringt nicht nur Euch um, wenn Ihr Euch die Pest holt! Ihr zerrt uns alle in den Tod!«
»Wenn es dir in unserem Haus nicht gefällt, steht es dir frei zu gehen. Niemand zwingt dich zu bleiben!«, fauchte Marike noch immer verärgert. Sie hatte genug von der zänkischen Magd.
Die starrte sie wortlos an, drückte ihr wütend die Börse in die Hand und ging zurück in die Kirche, sodass Marike endlich allein war. Sie holte tief Luft und bereute die harschen Worte bereits. Sie wollte der Magd schon folgen und ihr erklären, dass sie es nicht so gemeint hatte, da klapperte neben ihr etwas. Dort, links von der Kirchtür, saß wie so oft der zahnlose und altersschwache Willem auf seinem Lager und schüttelte seine kleine Holzdose. »Gabe!’ne milde Gabe, büdde!«
Marike entspannte sich bei dem Anblick des vertrauten Einsiedlers, der hier üblicherweise saß, um sich Almosen zu verdienen. Sie nahm ihre Börse aus dem Ärmel und suchte eine Münze heraus. »Willem, wie geht es dir? Ich habe nicht gewusst, dass du in diesen Zeiten hier noch herkommst.« Sie drückte dem Bettler das Geldstück in die Hand. »Des liecht aber nich’ an mir, jung’ Deern, ik bün immer da«, grinste der Alte zahnlos. Dann machte er große Augen, als er sah, dass es sich dabei um einen ganzen Schilling handelte. »Gott vergelt’s, jung’ Deern! Bist de Dochter der Mutter, des biste!«
Marike lächelte endlich wieder. Sie freute sich stets, wenn man sie mit ihrer Mutter verglich, doch dieses war ihr ein besonderes Kompliment. »Ich danke dir, Willem. Sag, wäre es nicht besser, du würdest dich im Spital melden? Du kannst ja kaum aufrecht sitzen! Soll Vater dort vielleicht ein gutes Wort für dich einlegen? Die Brüder und Schwestern können sich besser um dich kümmern als Felix oder ich.«
»Ach, Deern, da geh ik nich’ hin«, murmelte der Alte bedrückt. »Mit’er Pest und all’m«, er verzog das Gesicht. »’s alles schlümm, seit’er Düvel nach Lübeck kam! Alles schlimm!« Der Alte bekreuzigte sich zittrig.
»Der Teufel?«, fragte Marike und merkte auf, während sie seine Geste imitierte. »Was meinst du, alter Mann? Was für ein Teufel?«
»Ik red doch seit Tag’n, ach, seit Woch’n nich’ von was ander’m!«, klagte Willem. »Ik sach: De Düvel is’ in’er Stadt. Un’ niemen’ glaubt’em oll’n Willem. De’err steh uns bei!« Wieder schlug er ein Kreuz vor der Brust.
»Wann hast du ihn gesehen, Willem? Und wo?« Marike wusste nicht, ob das etwas zu bedeuten hatte, doch vielleicht hatte der Alte etwas gesehen, was sonst niemandem aufgefallen war. »’s war am Tach, als der olle Clemens gestorb’n is’, Deern. Da war er da, wo de Speelfrau g’rad geht«, er winkte zur Herrentür in die Süderhalle, durch die Marike gerade herausgekommen war. Dort ging die Hure Anna und spielte auf ihrer Fiedel. Offenbar hoffte auch sie auf ein paar Almosen der Kirchgänger. »Der olle Ab’ is’ ja vonne Fässer erschla’n wor’n, Deern, und dann«, sein Gesicht wurde grau und sein Ausdruck hohl, als er furchtsam die Stimme senkte, »dann kam de’ Düvel. De’ war schwarz
Weitere Kostenlose Bücher