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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Martin hätt’ er bestimmt nicht umgebracht.«
    »Ich wünschte, ich könnte dir glauben«, sagte Marike aufrichtig. »Ich finde den Schuldigen aber auch alleine.« Aber vielleicht konnte die Frau ihr doch noch weiterhelfen? »Du hast den Pater Martin gesehen?«
    »Ja. Dein Pater war da, bei uns draußen im Lager, und hat mit dem Pfeifer gesprochen. Sie haben sich zum Schluss die Hand gegeben. So etwas tut er nicht leichtfertig, weißt du.« Kaufleute, Viehhändler und Handwerker schüttelten sich die Hände, wenn sie einen Handel abgeschlossen hatten. Die Geste besiegelte einen Vertrag – wer sich nicht daran hielt, konnte seinen Ruf verlieren. Doch ein Unehrlicher besaß keinen Ruf, und so war die Geste hohl und nichtig.
    »Außerdem hat der Pfeifer gesagt, dein Pater wär ein guter Mann. Das hat er noch nie von einem Pfaffen gesagt.« Anna lächelte mitleidig. »Tut mir leid, dass er tot ist.«
    Marike nickte abwesend – immer, wenn die Rede auf Pater Martin kam, fühlte sich ihr Kopf ganz leicht an, und sie kam sich vor, als stünde sie in einem Sturm – Worte und Taten drangen nur leise an ihre Sinne. »Ja«, hauchte sie, »mir auch.«
    »Du glaubst mir kein Wort, oder?«, fragte Anna plötzlich.
    Marike zögerte. »Ich glaube, dass du davon überzeugt bist, dass dein Götze gut ist und der Pfeifer nur das Richtige getan hat. Das heißt aber noch nicht«, schloss sie, »dass dem auch so ist.«
    »Das heißt, du hältst mich für eine willenlose Teufelsbuhle«, meinte die Hure. Marike schwieg dazu.
    »Dann haben wir uns nichts mehr zu sagen«, spie Anna kühl aus. »Kann ich jetzt gehen?«
    »Ja. Aber ich warne dich -«, Marike funkelte sie an, »ich werde dafür sorgen, dass die Schuldigen an den Galgen kommen.«
    »Mach, was du willst.« Die Hure zog ihren Ärmel hoch und streckte die Hand nach dem Amulett aus. Marike reichte es ihr.
    Die Frau hielt an der Tür noch einmal inne. »Ich habe mich in dir geirrt«, schnaubte sie. »Du bist genau wie die anderen.« Dann verschwand die Frau, ohne dass man ihre Schritte auf dem Steinboden vernahm.
    Was wollte sie damit sagen? Marike wusste es nicht. Sie hob ihre Gewandnadel auf und folgte der Hure, bekreuzigte sich hin zum Altar und schloss die Türe hinter sich. Sie hoffte, dass sie niemand gesehen hatte. Ihre Schritte führten sie zur Nordervorhalle, um nach Hause zu gehen. Die Worte der Fiedlerin gaben ihr zu denken. Sie wusste nicht, ob die Kirchenmänner zwischen einem heidnischen Gott und einem Dämon einen Unterschied machen würden, denn sie alle galten als Götzen, hinter denen sich übelwollende Teufel verbargen.
    Doch sie wusste nun, dass Pater Martin mit dem Pfeifer gesprochen hatte. Zumindest nach Annas Aussage hatten sie miteinander gesprochen. Martin war ein verständnisvoller und aufgeschlossener Mann gewesen, der sich die Geschichte des Heiden sicher angehört hatte. Doch was war dabei herausgekommen? Wie war der Pfeifer in die Morde verwickelt – oder eben auch nicht? Dieses Geheimnis hatte der Pater mit ins Grab genommen. Der Einzige, der darüber vielleicht noch Auskunft geben könnte, war der windige Schausteller selbst, der nicht einmal Christ war.
    In der Beichtkapelle stand Marike vor dem Totentanz. Jeden Tag erschreckte sie dieses Gemälde mehr und mehr. Sie wusste nicht genau, was Bernt Notke antrieb, denn er hatte nicht aufgehört, die Gesichter der Sterbenden in das Bild hineinzumalen. Und Marike kannte sie alle, manche mehr, manche weniger. Als sie das Bild abschritt, wurde ihr das Herz schwerer und schwerer. Die Gesichtszüge Pater Martins waren gut getroffen, und auch der Kaufmann und der Küster waren, wenn auch noch nicht vollendet, so doch schon im Groben zu erkennen. Wie gut, dass gestern seit dem Küster nicht noch jemand gestorben war! Der Nächste wäre der Handwerker. Aber das konnte jeder zweite Bürger in Lübeck sein!
    »Herrin!«, erklang die Stimme Frederiks vom Süderschiff herüber.
    »Marike!«, fiel auch ihr Vater ein. »Wir haben dich schon überall gesucht!« Sein Gesicht wirkte noch älter und besorgter als sonst.
    »Es geht mir gut«, meinte Marike gedankenverloren.
    »Hast du Alheyd gesehen?«
    »Nein.« Vor dem Bild mit dem Handwerker stehend, erinnerte die Kaufmannstochter sich mit wachsendem Grauen an das Gespräch, das sie durch die Tür der Gallinkapelle belauscht hatte. Die beiden Männer hatten davon gesprochen, dass der Zimmermann Hartmann in seiner Werkstatt verbrannt war! Hartmann – der brummelige,

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