Das Mädchen und der Schwarze Tod
lassen?«
»Keine Ahnung. Der Fron hat in der Domfreiheit doch keine Rechte. Aber ein Bischof kann sich nicht umgebracht haben – das würde bedeuten, dass seine unsterbliche Seele …«
»… direkt in die Hölle wandert«, vollendete Marike den Satz und bekreuzigte sich. Sie hatte den würdigen alten Mann ein paarmal getroffen. Zwar war er nie besonders gut gelaunt gewesen, doch gleich zu behaupten, er habe sich umgebracht …
»Aber das würden sie uns doch sicher sagen, oder?«
»Ich bin mir da nicht so sicher …«
Lyseke boxte sie zärtlich in die Seite. »Du hörst zu viel auf Pater Martin, Marike. Und Pater Martin schenkt den Italienern zu viel Beachtung, seit er in Leipzig war. Nicht jeder Mensch wird gleich geboren. Manche sind eben verdorben!«
Tatsächlich hatte Pater Martin vor drei Jahren in Leipzig den großen Humanisten und Gelehrten Peter Luder gehört, der in Italien gewesen war. Danach hatte er Marike leidenschaftlich von dessen Lehren berichtet, die davon ausgingen, dass der Mensch das Maß aller Dinge sei – selbst zu Lasten der Religion. Lyseke spottete immer über diese Gedanken, denn dann hätten ja ein paar Ketzer recht, und die Bibel hätte unrecht. Marike fand es nicht ganz so leicht, diese Gedanken so einfach abzutun.
Die Mädchen schenkten dem Novizen am Pranger einen letzten Blick. Eine Fiedlerin hatte sich auf das Gerüst geschwungen und spielte von dort oben ein paar anzügliche Takte, während sie den wölfischen Kerl umtändelte.
Am Stand der Drechslerin angekommen, begutachtete Lyseke ein paar Kreisel. Sie wählte einen aus, einen breiten Zapfen aus geschmeidigem Holz, und wog ihn in den Händen. Eine Rille bot Platz für einen Faden, mit dem man den Kreisel in Schwung bringen konnte.
»Aber stört dich das denn gar nicht, Lyseke? Wie kann man jemanden töten, der vielleicht unschuldig ist?« Marike verstand das Desinteresse der Freundin nicht. Die machte sich darüber anscheinend keine Gedanken, sondern legte einen Faden in die Holzrille des Kreisels, um ihn auf dem Holzbrett des Standes auszuprobieren. Sie setzte das Spielzeug auf und zog am Faden, und schon holperte und taumelte es über das unebene Brett. Das Mädchen studierte seine Bewegungen. »Ach, lass uns aufhören zu grübeln, Marike, ja?« Der Kreisel kam holprig zum Stillstand. Lyseke hob ihn auf und gab ihrer Magd mit der Hand ein Zeichen, die Drechslerin zu bezahlen. »Ich werde den Kreisel Gunther schenken. Meinst du, er gefällt ihm?«
»Sicher«, erwiderte Marike. Das Thema zu wechseln war ihr nicht unlieb. Seit der denkwürdigen Begegnung gestern Morgen brannte ihr etwas auf der Seele. »Kommt der Schützling deines Vaters auch zur Bursprake? Der Maler Notke?« Marike schlug das Herz bei dieser Frage schneller in der Brust.
Lyseke drückte ihrer dürren Magd Alberte den Kreisel in die Hand, die ihn in einem kleinen Korb verschwinden ließ. »Natürlich kommt Herr Notke. Vater hält große Stücke auf ihn und möchte ihn in Ratskreisen vorzeigen. Er sagt, Notke habe eine große Zukunft in Lübeck vor sich, wenn man ihn denn endlich in die Zunft aufnimmt. Er hat sich übrigens nach dir erkundigt«, bemerkte Lyseke dann mit einem bedeutungsvollen Augenaufschlag. »Sehr anständig und höflich, aber interessiert. Ich glaube, er mag dich sehr, Marike. Im Gegensatz zu anderen bist du ja auch standesgemäß.« Dieser Seitenhieb war auf Lysekes Magd Alberte gerichtet, die lange Ohren bekommen hatte, als die Sprache auf Bernt Notke gekommen war.
Marike wurde bei Lysekes Worten ganz warm. Der Gedanke an den Maler gefiel ihr. »Er kommt aus Flandern, nicht?«
»Nein, er hat dort nur gelernt, glaube ich. Seine Familie stammt wohl aus Reval.«
»Aber immerhin kennt er dann Land und Leute in Flandern. Vielleicht kann er mir von Brügge und Umgebung erzählen.«
»Was gibt es denn in Brügge?«
»Meine Mutter stammt von dort.« Ihr Vater hatte Lisbeth dort auf einer Handelsfahrt kennengelernt und nach Lübeck heimgeführt.
»Frag ihn doch einfach. Herr Notke ist allerdings sehr geschäftig. Mein Vater macht ihm Feuer unter dem Hintern wegen seines Bildes.«
»Was malt er denn?«
»Einen Totentanz. Man hat solche in Paris und Basel. Sie kommen in die Beichtkapelle von Sankt Marien.«
»Die bei eurer Familienkapelle? Ich dachte, Hermen Rode sollte sie ausmalen.« Der Maler war einer der aufstrebenden Künstler Lübecks.
Lyseke schüttelte nur die hellen Locken, während sie langsam weiterschlenderten.
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