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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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hatte. Irgendwie schien es noch nicht an der Zeit. »Es war mir zu prächtig, Herr Vater. Mein gutes Kleid tut es doch auch.«
    »Du bist zu bescheiden, Kind. Wie deine Mutter. Bis gleich.« Er tätschelte ihr liebevoll die Wange. Dann schob sich Hinrich in die Menschenmenge hinein und machte seinem Herrn so den Weg frei, die Magd Alheyd blieb bei Marike und trug ihre Börse und einen Korb.
    Marike hatte heute Morgen ihr gutes Kleid an und hielt den langen Rock zum Schutz vor Staub und Kot in der Hand. Das Kleid war ein Oberkleid aus grünem Tuch aus Brügge, auf dem Perlstickereien den Reichtum der Familie bezeugten. Die weiten tütenförmigen Überärmel waren üppig, aber unpraktisch, darunter lagen engere falsche Ärmel aus heller Seide. Beide waren noch kostbarer verziert als das Kleid selbst, denn Ärmel ließen sich leicht austauschen und auch noch ans nächste Gewand ansetzen. Ihrem Vater zuliebe hatte sie die bronzene Gewandnadel angesteckt, die er für sie hatte säubern lassen. Befangen strich sie darüber und hoffte, dass man das kleine Gesicht, das auf den ersten Blick nur aus riesigen Augen zu bestehen schien, für ein Ornament halten würde.
    Bald schon sah die Kaufmannstochter den vertrauten goldblonden Schopf ihrer hübschesten Freundin in der Menge hervorleuchten. »Marike!« Lyseke drängelte sich, gefolgt von ihrer Magd Alberte, aus dem Marktbetrieb, ergriff Marikes Hände und küsste sie auf die Wange. »Du bist spät!«
    Die Rotblonde erwiderte den Kuss der Freundin und erklärte mit einem entschuldigenden Lächeln: »Wie immer.«
    Die kleinere Lyseke war schüchterner und frommer als Marike und hatte im Gegensatz zu ihr aber von ihrem Vater Anton Oldesloe den Sinn fürs Kaufmännische geerbt. Glücklicherweise beschränkten sich die Ähnlichkeiten darauf, denn die junge Frau war wegen ihres goldfarbenen Haares, das sich in elegante weiche Locken legte, und den funkelnd blauen Augen schon von so manchem Freier gepriesen worden. Marike wusste aber als eine der wenigen, dass das Herz der frommen Lyseke, die noch niemals eine Vorschrift missachtet oder einem Befehl ihres Vaters entgegengehandelt hatte, bereits vergeben war.
    Die Freundin war zwei Jahre jünger und galt als außerordentlich tugendsam. Die beiden verband das Schicksal, ihre Mutter verloren zu haben; Marike in der Pest, Lyseke bereits bei der Geburt. Richtig befreundet waren sie aber erst seit ein paar Jahren, seit Marike die Mädchen in ihrem Alter an die Ehe verloren hatte. Auch wenn damals Schwüre abgelegt worden waren, dass sich nichts ändern würde, hatte Marike feststellen müssen, dass unter den alten Freundinnen kein Platz für sie war, da sie nicht über Ehemänner, Schwangerschaft und Kinder sprechen konnte.
    Nun hakte sich Lyseke fröhlich bei Marike ein und zog sie in den Markttrubel. »Komm! Lass uns die Auslagen anschauen!«
    Marike ahnte, dass die Fröhlichkeit der Freundin einen Grund haben musste. »Hat er dich schon gefragt?«
    »Wer?«, fragte Lyseke gedehnt, als habe sie keine Ahnung, wovon Marike sprach.
    »Du weiß genau, wen ich meine. Der Herr von Kirchow – hat er deinen Vater schon gefragt?« Der junge Edelmann Gunther von Kirchow und Lyseke waren einander zugetan. Nun musste der junge Herr nur noch bei Anton Oldesloe um die Hand des Mädchens anhalten, sodass das Verlöbnis offiziell werden konnte – ein Ereignis, auf das sie jeden Tag wartete.
    Die blonde Freundin begutachtete angestrengt die Auslage einer Schustersfrau. »Ach, du kennst doch Gunther«, antwortete sie ausweichend. »Manchmal glaube ich, dass er eine Heidenangst vor meinem Vater hat.«
    Marike selbst hatte ihren Vater vor knapp einem Jahr nach dem Kirchgang dazu gebracht, Herrn Gunther von Kirchow und Lyseke einander vorzustellen. Gunther von Kirchow war ein anständiger, wenn auch noch etwas unreifer junger Mann, der sich sicherlich von Anton Oldesloe beeindrucken ließ.
    »Ich glaube nicht, dass Ängstlichkeit ihn davon abhalten wird, Lyseke! Nur Geduld!«, schmunzelte Marike. »Sagt der Herr nicht irgendwo, man möge sich in Geduld üben?«
    »›Der Geduldige hält aus bis zur rechten Zeit, doch dann erfährt er Freude.‹ Das Buch Jesus Sirach, Kapitel eins, Vers dreiundzwanzig.«
    Marike staunte immer wieder über Lysekes Bibelfestigkeit, und ihr Vermögen, sie zügig aus dem Lateinischen zu übersetzen. Sie hatte beim Domherrn Nikolaus viel gelernt. Der brillante bischöfliche Übersetzer wurde auch von den Kaufleuten oft

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