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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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konsultiert, denn er sprach angeblich alle geläufigen Sprachen – zumindest aber Griechisch, Latein, das Baltische und Engelländische sowie die Sprachen der Wenden und der Leute aus dem Frankenreich.
    »Siehst du? Warte nur ab und vertraue deinem Gunther. Er wird schon den rechten Augenblick wählen.« Lyseke sah hintergründig drein und antwortete nicht.
    Die beiden Mädchen schlenderten über den vollen Platz und sahen sich rechts und links die Auslagen an, während die Mägde ihnen mit respektvollem Abstand folgten und Klatsch austauschten. Marike entdeckte den Stand der Kerzengießer und wies Alheyd an, ein Dutzend nach Honig duftender Kerzen zu erstehen. Danach führte ihr Weg sie am Pranger vorbei, jener Säule, an der gewöhnlich Betrüger angekettet wurden, die sich bei den Tuchen »vermessen« oder schlecht über einen angesehenen Herren gesprochen hatten. Dies war die schwerere Form dieser Strafe, denn erst vor wenigen Wochen war der Finkenbauer errichtet worden, eine überdachte Stube auf dem Markt, in der man unten Butter verkaufte und darüber Leute der öffentlichen Schande aussetzte, die leichtere Strafen erhielten. Nichts wirkte sich auf Ruf und Ehre so übel aus wie eine Bloßstellung der eigenen Schuld vor der ganzen Gesellschaft.
    Die beiden hier angeschlagenen Männer trugen Hände und Hals in Schellen gezwängt, und man hatte ihnen zusätzlich mit einem Stück Leinen den Mund geknebelt, um zu verdeutlichen, dass sie anderen übel nachredeten. Der junge Bursche hing in seinen Ketten, sodass Marike schon fürchtete, er hätte sich erdrosselt. Der hagere Kerl lehnte vornüber in seinen Fesseln und glotzte in die Menge. Er hatte zottelige schwarze Haare und hungrige Augen, die sie finster anstarrten. Dem Äußeren nach war er ein Wende, unter denen es nur wenige ehrliche Männer in Lübeck gab. Um seinen Hals hing eine helle Flöte, ein niederes Instrument, von dem man sagte, es vermöchte den Menschen die Sinne zu verwirren und sie gar teuflisch zu verlocken. Marike fand erschaudernd, dass der Mann etwas Wölfisches an sich hatte.
    Kinder bewarfen die beiden mit faulen Äpfeln, Hunde schnüffelten sehr zum Ergötzen der Schaulustigen an ihren Beinkleidern. »Wollen wir uns Abfall greifen und mitmachen?«, fragte Lyseke mit gerötetem Gesicht. Doch Marike schüttelte nur den Kopf. Sie hatte den Drang der Menschen nie verstanden, sich am Leid anderer auch noch zu ergötzen – ob sie nun Strafe verdient hatten oder nicht. Die beunruhigend dunklen Augen des Flötenspielers trafen ihre, und sie starrten einander einen Augenblick lang an. Die alten Frauen sagten hinter vorgehaltener Hand, manche Menschen trügen eine alte Seele in sich, und die erkenne man an den Augen. Jetzt wusste die Kaufmannstochter, worauf diese Redewendung anspielte, denn dieser Mann besaß solche Augen. Eine zornige Weisheit und seltsamer Hunger schlummerten darin. Was musste ein Mensch alles erlebt haben, um so in die Welt zu blicken? Vielleicht konnte er gar schwarze Wolle weben, sie also alle verhexen oder verfluchen? Der wölfische Kerl musterte sie, dann blieb sein Blick auf ihrer Brust hängen. Mit Schauern wandte Marike sich ab.
    Lyseke schlenderte schon weiter, zum Tisch der Drechslerfrau, wies dabei aber auf den Jungen, der noch am Pranger stand. »Sie richten den Novizen übrigens auf dem Köpfelberg hin, wenn sie ihn da abgenommen haben.«
    Marike sah unwillkürlich zurück zu dem Burschen mit dem braunen Strubbelhaar, der jämmerlich in seinen Ketten hing. Auf dem Köpfelberg jenseits der nördlichen Mauern fanden die Hinrichtungen statt. »Ein Novize?«, fragte sie, denn das sah man dem jungen Kerl, der kaum den ersten Bartflaum trug, gar nicht an.
    »Ja, aus dem Dom.«
    »Und warum soll er hingerichtet werden? Warum steht er hier?«
    Lyseke drehte sich erstaunt um. »Ja, lebst du denn wirklich in den Sternen?«, rief sie aus. Dann senkte sie die Stimme und bekam jenen Glanz in den Augen, der gewöhnlich aufregenden Klatsch begleitete. »Die Domherren sagen, er hat den Bischof vergiftet!«
    »Er soll den Bischof vergiftet haben?« Marike konnte sich doch kaum vorstellen, dass dieser Junge jemanden vergiften könnte. »Aber ich dachte, den hätte der Schlag getroffen!«
    »Das sagt der Novize. Oder der Bischof habe sich gar selbst umgebracht! Und daher steht er hier wegen übler Nachrede, bevor sie ihn hinrichten.«
    »Aber wie ist der Bischof denn nun gestorben, Lyseke? Hat der Fron etwas verlauten

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