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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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»Nein, das ist schon im letzten Herbst anders entschieden worden. Mein Vater hat von den Totentänzen gehört und wollte für Lübeck auch einen. Diese Bilder sind etwas ganz Besonderes! Sie fordern auf zu Frömmigkeit und Ehrfurcht vor Gott. Alle Städte der Hanse werden uns darum beneiden. Und Notke ist der Beste, den man für Geld bekommen kann.«
    »Aber... was ist denn ein Totentanz? Das klingt unheimlich.«
    Lyseke schien sich da auch unsicher zu sein. »Es ist ein Bild. Die Vertreter aller Stände tanzen einen Reigen mit dem Tod als Skelett. Angefangen beim Papst bis hinunter zum Bettler müssen alle darauf abgebildet sein.«
    Marike konnte sich immer noch nicht genau vorstellen, was das sein sollte, doch bei der Beschreibung wurde ihr unbehaglich zumute. »Er malt den Tod? Tanzend? Und das in der Beichtkapelle? Was für ein finsterer Mensch. Und warum um alles in der Welt will dein Vater einen solchen Totentanz?«
    »Wie ich meinen Vater kenne, möchte er damit zeigen, dass ein Lübecker Kaufmann genauso viel wert ist wie der Kaiser höchstpersönlich.« Lyseke war wie die meisten Menschen gleichmütiger gegenüber dem Tod als Marike.
    Diese grübelte kurz. »Heißt das nicht auch umgekehrt, dass ein Bettler genauso viel wert ist wie ein Lübecker Kaufmann?«
    Lyseke lachte auf. »Marike, du kommst aber auf Ideen! Erzähle das bloß nicht meinem Vater!« Marike fand den Gedanken gar nicht merkwürdig, doch sie drang nicht weiter in die Freundin, die heute ja keine Lust zum Grübeln mehr hatte.
    Langsam wurde der Marktplatz so voll, dass man sich durch das Gedränge schieben musste. Da noch ein wenig Zeit blieb, ließen die jungen Kaufmannstöchter die Oberwaage nun hinter sich, die unter der prachtvollen Kriegsstube zur Rechten des Rathauses stand. Deren Wand trug die Wappen vieler wichtiger Familien, die Mauerkrone war mit vielen kleineren Türmchen verziert. Zwischen den beiden Gebäuden überbrückte das lange Danzelhus mit dem schmalen Tanzsaal das erste Geschoss. Auf Markthöhe bargen die steinernen Arkaden darunter die Marktstände der Goldschmiede, an denen die beiden Mädchen fast wehmütig vorbeischlenderten, denn diese Kostbarkeiten waren selbst in guten Zeiten teuer.
    Schließlich kamen sie am Rathaus an, jenem Prachtbau, der allen vom Hafen her eintreffenden Reisenden einen ersten Eindruck von Lübeck gab. Am auffälligsten war die hohe Blende in grün, weiß und ziegelrot zur Linken. Sie wartete des Windes halber mit zwei großen Löchern auf; auf der Blende thronten drei Ziertürme, ähnlich denen auf der Kriegsstube. Unter die Blende war im ersten Stock die überdachte Ratslaube vor das Rathaus gebaut worden, auf der die beiden Mädchen bald hinter ihren Vätern stehen würden, um die Geschlossenheit der einflussreichen Familien zu zeigen. Insgesamt wirkte das Rathaus farbig und prachtvoll, wie es dem Haupt der Hanse geziemte.
    Ein Bettler, der sonst immer vor der Marienkirche saß, hockte hier im kühlen Schatten und hob seine Holzschale hoch. Er war alt und klapprig, die Zähne fehlten ihm gänzlich, und das wenige weiße Haar, das ihm noch geblieben war, stand ihm wirr vom Kopfe ab. »Willem!«, grüßte Marike und gab Alheyd einen Wink, dem Bettler etwas zu geben. »Was machen die Knochen?« Johannes Pertzeval ließ ihn im Wohnkeller seines Hauses leben. Marike mochte diesen gebeutelten Mann. Sie sah in ihm nicht nur den hilflosen Greis, der Mühe hatte, sich eine Treppe hinaufzuschleppen. Sie war sicher, dass er einst einmal ein schneidiger junger Mann gewesen war, der gute wie schlechte Zeiten durchlebt hatte und nun niemanden mehr besaß, der sich um ihn kümmern konnte.
    »De Düvel wird uns hol’n, Jungfrowen Marike, das sach ich!«, krächzte der Alte nun. Alheyd ließ ein paar Pfennige in seine Schale klappern, was den Bettler versöhnlicher stimmte. Auch Lyseke ließ Alberte ein Almosen verteilen und faltete die Hände. »Jesus sagt: Viele aber, die jetzt die Ersten sind, werden dann die Letzten sein, und die Letzten werden die Ersten sein. Im Himmel wirst du gesegnet sein, alter Mann.«
    Willem neigte das Haupt. »Will für se beten, für de Jungfern! Gott sei’s gedankt!«
    Dann schnappte er plötzlich Marike am Ärmel und zog sie zu sich herunter. Sein Atem stank nach Gammel und Fusel, sodass Marike einen Brechreiz unterdrücken musste. »Marike«, flüsterte er dann. »De’ Düvel will uns hol’n!«
    Keuchend zog Marike ihm den Ärmel aus der Hand und richtete sich wieder

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