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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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endete und läutete die Glocke ein paar lange Augenblicke, um den Abschluss zu markieren.
    »Das war alles?«, fragte Marike erstaunt. Pertzeval nickte auf ihre Frage düster.
    »Immerhin hat man die Priester beordert, in der Stadt zu bleiben«, spottete Notke mit plötzlicher Bitterkeit. »Man sollte meinen, der göttliche Auftrag, ihre Herde zu hüten, würde da ausreichen.«
    »Auch Priester sind nur Menschen, Meister Notke«, erwiderte Pater Martin fast ein wenig scharf.
    »Seid Ihr sicher, dass Eure Brüder das genauso sehen?«, fragte Notke mit erhobener Augenbraue.
    Während Marike sich noch über diesen spontanen Ausbruch wunderte, vermischten sich auf dem Marktplatz Rufe, Pfiffe, erregtes Gerede und Klagerufe zu einem lauten Durcheinander. Die Menschen wussten offenbar nicht, was sie von diesen Ankündigungen halten sollten. Schließlich begannen die Spielleute wieder mit ihrer Musik, und die Menge zerfiel in diskutierende Grüppchen. Auch die Ratsfamilien verließen langsam die Laube, und so blieb nur ein kleiner Kreis im Gespräch zurück.
    »Die Leute sind verwirrt. Ist das ein Wunder? Man sagt ihnen, die Pest sei nicht da, sagt ihnen aber, was sie tun sollen, wenn sie da wäre«, keuchte Pertzeval. Oldesloe zuckte mit den Schultern und wandte sich vom Platz ab. »Es geht nicht anders«, brummte er leise.
    »Aber sollte man dann nicht dringend den Hafen, die Märkte und Badehäuser ganz schließen, damit die Pest sich nicht ausbreiten kann?«, fragte Marike verwirrt.
    Von Calven funkelte Oldesloe an. »Das sage ich seit Tagen. Aber der Rat hat mich überstimmt.«
    Pertzeval wog den Kopf hin und her. »Das wäre sicher klug, Kind, wenn wir denn Genaues wüssten. Aber mit geschlossenem Markt«, er hustete vorsichtig, »verdient auch ein Kaufmann kein Geld.«
    »Dafür kann er es sich leisten, ein paar billige Tagelöhner zu verlieren«, entgegnete von Calven düster.
    Marike schaute sich ungläubig in der sich leerenden Laube um. »Sie wollten das nicht? Sie riskieren so vieler Menschen Leben, nur -«
    »… nur um Geld zu verdienen?«, beendete Oldesloe ihren Satz. »Auf dem Handel fußt Lübecks Größe, Kind«, verkündete er stirnrunzelnd. »Gibt es keinen Handel mehr, könnte sich gleich der Boden auftun und die Stadt verschlingen. Soll man das riskieren, weil vielleicht die Pest da ist?«
    »Du übertreibst, Oldesloe«, meinte Pertzeval entschieden, und von Calven fauchte: »Lübeck geht nicht unter, nur weil ein paar Wochen lang die Märkte geschlossen werden! Habt doch mal ein wenig Vertrauen, Mann!«
    Oldesloe mühte sich, seine klangvolle Stimme zu dämpfen. »Von Calven, Ihr habt nie begriffen, worum es in Lübeck geht, nicht wahr? Der Stockfischhandel ist uns schon beinahe entglitten, die Konkurrenz auf See wird immer größer, und die Preise für das gute Salz aus Lüneburg fallen, weil man in Nowgorod und anderswo das billigere Baiensalz von den Küsten des Frankenreichs bezieht! Fragt Pertzeval, der weiß Euch davon ein Lied zu singen. Seit immer mehr Schiffe in den letzten Jahrzehnten zu hoher See fahren können, sind die Kaufherren nicht mehr gezwungen, hier in Lübeck umzuschlagen. Allein der Mythos, der Nimbus der Unberührbarkeit, die Ehrfurcht machen Lübeck zu dem, was es ist. Verlieren wir den Mythos, verlieren wir alles. So einfach ist das.«
    »Einfach, hm?«, erwiderte von Calven bitter. »Nichts daran ist einfach. Dieser Mythos bedeutet nicht nur Segen, sondern auch Verantwortung. Und eine Bürde gegenüber jenen, die uns ihr Vertrauen schenken. Manche werden uns in zehn, hundert, vielleicht noch tausend Jahren als Narren schimpfen, wenn wir jetzt nicht handeln. Wir müssen Lübeck vor der Welt bewahren. Und vielleicht die Welt vor Lübeck schützen.«
    Der Ausdruck auf Oldesloes Gesicht war schwer zu deuten. »Aber man wird sich in tausend Jahren noch der Größe von Lübeck erinnern, selbst wenn sie bis dahin vergangen sein sollte. Und Alexander den Großen hat man auch einen Narren genannt, als er davon sprach, die Welt zu erobern. Als ihm die Welt zu Füßen lag, nannte man ihn einen Gott. Narren verändern die Welt.«
    Von Calven winkte ab, offenbar einer Diskussion überdrüssig, die er schon oft umsonst geführt hatte. »Ihr müsst es ja wissen!« Dann schob er seine Familie von der Laube in das Rathaus hinein. Marike sah ihnen nachdenklich hinterher. Sie fand die Ansichten von Wilhelm von Calven bestechend einsichtig.
    Auf der beinahe leeren Laube entstand kurz eine

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