Das Mädchen und der Schwarze Tod
bedrückende Pause. »Du hast unrecht, Anton«, meinte Pertzeval schließlich. »Ein beharrlicher Wille verändert die Welt. Wer glaubt, es sei das Geld oder der Mythos, ist wirklich ein Narr.«
»Ihr seid mit diesem Wort recht freigiebig, Herr Pertzeval«, schnaubte Schmied Lynow, der ebenfalls noch in der Runde geblieben war. »Mich habt Ihr bei meinem letzten Besuch auch einen Narren genannt, Mann.«
Johannes Pertzevals Stimme verriet seine Mühe, sich zu beherrschen. »Ich habe nur gesagt, Ihr wärt ein Narr, wenn Ihr ein deutliches Nein nicht verstehen könntet.«
Der kräftige Schmied baute sich vor dem viel schmaleren kranken Mann auf. »Wäre ich ein Ratsherr oder Bürgermeister, Ihr würdet mir die Hand Eurer Tochter nicht verweigern, Pertzeval!«
Marike schlug die Hände vor den Mund. Sie hatte also recht gehabt, ihr Vater hatte mit Lynow über sie gesprochen. Hatte der Vater sie deshalb so eindringlich vor dem Mann gewarnt – weil er um ihre Hand angehalten hatte? Ihr wurde heiß und kalt zugleich. Und es war sogar um eine Heirat gegangen! Um ihre Hand! Sie sah, dass Lyseke bei dem Gedanken ähnlich entsetzt war wie sie.
»Ihr macht Euch selbst zum Narren«, schnaubte Pertzeval erbost, »weil Ihr glaubt, gut genug für meine Tochter zu sein.«
»Niemand nennt mich einen Narren!«, knurrte Lynow.
»Ich habe es bereits zum zweiten Mal getan!«
»Dann solltet ihr es kein drittes Mal tun, Pertzeval!«
»Vater -«, rief Marike, um ihn zu besänftigen. Einen Augenblick lang sah es so aus, als würden die beiden ungleichen Männer – der dürre, aschfahle Pertzeval und der gedrungene, rotgesichtige Lynow – aufeinander losgehen, und das mitten auf der beinahe leeren Laube des Rathauses, wo es halb Lübeck sehen würde. Marike musste unwillkürlich wieder an des Vaters Warnung vor Lynow denken. Der Vater hatte gesagt, dass er über sie versuche, an ihn heranzukommen. Noch gestern hatte sie das alles nicht glauben wollen.
Die beiden Männer funkelten sich an, bis Anton Oldesloe beiden auf die Schulter klopfte und die Spannung mit einem Lachen löste. »Johannes ist mit dieser Vokabel recht großzügig, Lynow. Beruhigt Euch, Mann. Wenn es um die eigene Tochter ginge, wärt Ihr da nicht auch so strikt?« Lynow entspannte sich etwas. »Trollt Euch, Lynow. Kommt, ich bring Euch raus.« Als von Pertzeval keine Antwort kam, nickte Oldesloe Marike und ihrem Vater zum Abschied zu und führte den wütenden Mann hinaus. Der fuhr noch einmal herum und spie: »Niemand nennt mich ungestraft einen Narren, Pertzeval!«
»Bastard«, murmelte Pertzeval heiser. Er krampfte die knochigen Hände um das Geländer, dann verließ auch er die Laube. »Komm!« Marike folgte, froh darüber, diesem Streit zu entkommen.
Die Pertzevals verließen das Rathaus mit Lyseke und gingen über den Kirchhof der Marienkirche. Hier standen viele Gruppen beisammen und besprachen erhitzt das Gehörte. Marike wollte sich von Lyseke verabschieden, doch die zögerte. »Marike, der Lynow … der wär gar keine schlechte Partie. Immerhin …« Sie verstummte.
»… immerhin bin ich nicht mehr die Jüngste?«
Lyseke nickte bedrückt. »Dein Vater ist so krank. Hast du denn gar keine Angst vor der Zukunft?«
»Nicht so sehr, dass ich den Lynow nehmen würde.«
»So etwas kannst auch nur du sagen, Marike!«, stieß Lyseke kopfschüttelnd aus. Kaum hatte sie das ausgesprochen, schlug sie sich die Hand vor den Mund.
»Wie meinst du das?«, fragte Marike. »Das klingt beinahe so, als hältst du mich für dumm!«
Lyseke setzte zum Sprechen an, schluckte und sah auf ihre Füße. »Nein, du bist nicht dumm. Ganz und gar nicht – ich beneide dich sogar.«
Marike musterte die hübsche Freundin misstrauisch. »Du beneidest mich? Aber, Lyseke, wofür denn? Du bist fromm, du bist hübsch, du kennst dich mit Buchhalterei und Warenverwaltung aus und sprichst dieselbe Sprache wie alle anderen hier. Vielleicht wirst du sogar einmal das Kontor deines Vaters leiten dürfen. Worum, um Himmels willen, solltest du mich denn beneiden?«
Eine unbehagliche Stille entstand zwischen ihnen, so als seien sie gar nicht die engsten Freundinnen, sondern Fremde, die einander zum ersten Mal begegneten. In Lysekes Gesicht stand ein Hauch von Bitterkeit geschrieben.
»Ja, ich bin vollkommen, nicht wahr? Hübsch, reich, begabt. Wer kann sich da beklagen?« Lyseke blinzelte ärgerlich die Tränen aus den Augen, die sich dort angesammelt hatten.
Marike fehlten für einen
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