Das Mädchen und der Schwarze Tod
und eine jede Frau, die sich in Lübecks Mauern aufhält, hat sich daran bei Strafe zu halten.« Die aufkeimende Unruhe ebbte sofort wieder ab. Niemand wollte diese wichtigen Mitteilungen verpassen.
»Die öffentlichen Brunnen Lübecks sind nur noch mit eigenem Becher oder Eimer zu benutzen. Die öffentlichen Eimer werden entfernt.« Murren seitens der Wasserträger und Mägde schallte zur Laube hinauf, doch insgesamt war der Widerspruch gering, und der Redner sprach weiter.
»Vom heutigen Tage an werden keine Fremden mehr in die Stadt gelassen. Allein Bürger und Bewohner Lübecks dürfen die Tore passieren. Bettelndes Gesindel ist abzuweisen.« Dies wurde mit freudigen Rufen begrüßt – fremde Bettler wurden mit Misstrauen betrachtet, und die Handwerker mussten so keine nachziehende Konkurrenz fürchten. Marikes Blick huschte unwillkürlich zum Brunnen, wo die Spielleute standen. Doch die waren zu weit weg, als dass man eine Reaktion hätte erkennen können.
»Juden haben die Stadt zu verlassen. Wer einen Juden oder einen ihrer Handlanger trifft, hat ihn sofort zu melden. Unterlassung wird am Pranger bestraft.« Wieder zollten die Menschen laut ihre Zustimmung.
»Kranke müssen dem Rat unmittelbar gemeldet werden. Wer krank ist, darf das Haus auf vierzehn Tage nicht verlassen.« Die Leute brummelten schon widerwillig, doch der Ausrufer hob die Hand, dass er noch nicht fertig sei. »Kranke sind auch von Badehaus und Kirchgang ausgeschlossen. Einzige Ausnahme sind die Messen an Sonn- und Feiertagen.«
Die Ratsmitglieder und ihre Familien, die hier auf der Laube standen, blickten trotz Hitze und Langeweile recht gefasst auf die Lübecker hinunter. Nur zwei Buben hatten einander bei den Haaren und wurden getrennt, als sie zu laut wurden. Der Ausrufer holte tief Luft, um folgende Verkündung lautstark hinauszuposaunen. »Priester und Ärzte werden aufgefordert, in der Stadt zu bleiben und sich zur Verfügung des Rates zu halten. Bruder Anselmus vom Heiligen-Geist-Spital wird zum städtischen Pestarzt ernannt und soll weitere Pestilentiarii benennen.« Das wurde von den Wartenden lautstark begrüßt. »Das Volk ist zu maßvollem Essen und Trinken sowie zu gottgefälligem Lebenswandel aufgerufen.«
Dann machte der Ausrufer eine Pause und tupfte sich den Schweiß von der Stirn. Seine Stimme klang bereits angestrengt, und doch war er noch nicht zum Ende gekommen. »Sollte Gott in seiner Weisheit doch die Geißel auf unsere Stadt herabschicken, sei kundgetan, dass die nun folgende neue Verordnung im Pestfalle zusätzlich zu den eben verlesenen Maßnahmen gilt. Ein jeder, der sich innerhalb der Mauern Lübecks aufhält, hat sich daran bei Strafe zu halten!« Er holte wieder tief Luft, denn nun wollte er einen langen Vortrag ohne Unterbrechungen verkünden.
»In Zeiten der Pest wird den Klageweibern das Klagen verboten und den Küstern das Läuten der Totenglocken. Allein am heiligen Tag zu Mariä Himmelfahrt sei lautes Beklagen der Toten gestattet, danach an jedem Sonntag. Sämtliche Häuser müssen mit Lebensmitteln ausgestattet werden, die über vierzehn Tage halten, damit das Haus bei Krankheit nicht verlassen werden muss. Schweine müssen von den Straßen entfernt werden und dürfen bei Strafe nicht mit Unrat beworfen werden. Pestilentiarii werden regelmäßig durch die Stadt gehen und die Hausbesitzer nach Namen der Kranken und Toten befragen. Tote sind mithilfe der Pestfahrer sofort zu bestatten. Der Handel mit Kleidung und Habseligkeiten der Toten ist strengstens verboten. Das Entleeren der Nachttöpfe auf die Straße ist ebenso untersagt wie das Ausgießen von Eiter und Blut in Gosse oder Fluss. Die Häuser von Kranken werden auf vierzehn Tage versperrt, zu zählen vom Tage der letzten Erkrankung im Haus. Häuser mit Pesttoten sind auszuräuchern, die Habe zu verbrennen.«
Die Antwort auf die neuen Bestimmungen war ein Aufruhr. Der Ausrufer hatte Mühe, mit seiner bimmelnden Glocke wieder Ruhe in die Menge zu bringen. »Höret! Höret!« Dann wechselte er einen Blick mit den Bürgermeistern, bevor er fortfuhr: »Hört, ihr Bürger Lübecks! Noch droht keine Gefahr! Es ist noch kein Opfer der Seuche innerhalb der Stadtmauern gemeldet worden. Und Gott möge geben, dass dies auch in Zukunft so bleibt. Doch wisst, dass der Rat die Glocken von Sankt Marien für eine Stunde läuten lassen wird, wenn die Pest ausbrechen sollte, damit ein jeder gewarnt sei, dass die Pestverordnung in Kraft tritt!« Der Ausrufer
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