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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Dann schritt er die aufgebauten Bilder ab. »Ihr verwendet doch meine Farben?«
    »Sicher.« Er rührte sich die Farben stets frisch an und verwendete dabei das Pigmentpulver, das ihm der Handelsherr liefern ließ. Bernt Notke verschwieg, dass er manchmal die eigenen Farben hinzumischte – denn besonders der Goldocker und die Umbra schienen irgendwie heller zu sein, als er es gewohnt war.
    Der Maler beobachtete den größeren Mann besorgt. Wie immer, wenn er mit jemandem seine Bilder betrachtete, sah er sein eigenes Werk mit fremden Augen. Jedes Gesicht auf der Leinwand wirkte mit einem Mal zu schlicht, jedes Hautskelett schien leere Züge und langweilige Bewegungen zu haben.
    Endlich sprach Oldesloe, ohne sich umzudrehen: »Der Hintergrund mit Lübeck zeigt Eure Genialität, Meister Notke, wegen der ich gerade Euch und keinem anderen den Auftrag geben wollte. Der alte Nikolaus will bloß in langen Beichtstunden etwas gegen die Kälte im Rücken haben, ich aber will etwas Grandioses! Etwas Monumentales! Und dafür brauchen die Gesichter der Figuren noch mehr Charakter. Noch mehr Verzweiflung! Und die Darstellungen des Todes wirken zu blass. Die dürren Kerle sollen die Menschen nicht dazu veranlassen, sich mehr Fleisch auf die Knochen zu fressen. Sie sollen sie zum Schaudern bringen. Zum Fürchten! Zum Heulen und Zähneklappern!«
    Der Maler wollte etwas einwerfen, doch der Kaufmann fuhr mit großer Geste fort: »Der Tod ist etwas Grässliches, Notke! Er trifft uns plötzlich, aus dem Hinterhalt. Er reißt uns aus unseren Geschäften heraus, ohne dass man einen Strich darunter ziehen könnte. Ist der Tod nicht die Willkür selbst und wählt seine Opfer ohne Sinn und Verstand? Ist er nicht ein grausamer Schnitter, der keine Gnade walten lässt? Das muss man Euren Bildern ansehen, Notke!«
    »Und da dachte ich, es sei ein Segen, vor Gottes Thron gerufen zu werden …«, ergänzte Notke trocken.
    Der Mann funkelte die gemalten Hautskelette beinahe herausfordernd an, bevor er sich wieder dem Maler zuwandte. »Ich sprach von des Todes Willkür, Meister Notke, nicht von der Gottes. Die Seele erlangt ihr ewiges Leben in Gottes Reich. Das ist schön und gut. Doch alles, was wir im Diesseits begonnen haben, bleibt unvollendet zurück.«
    »Da habt Ihr natürlich recht, Herr.« Der Ratsherr besaß Reichtum und einen guten Leumund, um den man sich Sorgen machen konnte. Notke selbst hatte noch nicht viel zu verlieren. Vielleicht besaß der Tod deshalb im Alter mehr Schrecken als in der Jugend?
    Der bullige Mann klopfte Notke leutselig auf die Schulter. »Wie dem auch sei, Meister Notke: Die Figuren müssen grässlicher sein! Ihr habt Bischof Arnold und Guardian Clemens hineingemalt. Bei ihnen sieht man den Schmerz, man sieht das Leiden! Nehmt Euch daran ein Beispiel, Notke! Schaut Euch einfach um – der Tod ist allgegenwärtig! Da wird es doch wohl ein paar gute Vorbilder geben!«
    Notke gefiel der Gedanke nicht. Er hatte die beiden Toten in das Bild gemalt, weil er ihnen ein Denkmal setzen wollte. Wie es manchmal bei seinen Werken geschah, hatten sie abgebildet werden wollen, so merkwürdig das auch klang. Doch damit weitermachen? Er mochte den Vorschlag nicht sonderlich.
    Oldesloe bemerkte offenbar sein Zögern. Er lächelte gönnerhaft. »Meister Notke, Ihr seid ein weitgereister Mann! Ihr habt bei Meister Grenier gelernt! Das war einer der Gründe dafür, dass ich Euch ausgewählt habe. Dieser Kirchenvorstand hat Euch und keinen anderen angeworben, um ein einzigartiges Meisterwerk zu erhalten! Wir haben zwei geweihte Altäre aus der Kirche entfernen lassen, um Platz für etwas zu machen, das der Stolz der Kaufherrenschaft werden soll. Noch in Jahrhunderten wird man den Totentanz der Hansestadt Lübeck neben der Astrologischen Uhr als eines der großen Meisterwerke unserer Künstler bewundern und sich vor unserem Erfolg und Reichtum verneigen!«
    »Natürlich, Herr. Wenn die Todesfiguren noch grässlicher werden sollen, dann will ich sie wahrhaft grässlich machen.«
    Der breite Mann lächelte. »Ihr seid ein guter Mann, Notke. Ein ehrgeiziger Mann. Männer wie Euch kann Lübeck brauchen.« Der Kaufmann wandte sich wieder zu dem Bild und nickte. »Die Menschen sollen sich fürchten. Denn nur wer sich fürchtet, fängt an zu kämpfen. Nur wer weiß, dass der Tod ihn jederzeit und ganz unverhofft anfallen kann, weiß daraus Kraft und Stärke zu schöpfen.« Seine kleinen Augen funkelten stolz. Dann fuhr er gönnerhaft fort:

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