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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Frauen davor. Erstaunt stellte er fest, dass er nicht wusste, was er sagen sollte – sicher zum ersten Mal in seinem Leben, wie er sich spöttisch eingestand. Der jungen Frau ging es kaum besser, und so legte sich Schweigen über diesen Teil der Marienkirche.
    »Warum ist Jungfer Lyseke so aufgeregt?«, fragte der Maler, um das Gespräch in Gang zu bringen.
    »Ihr Verehrer hat sich endlich getraut, bei Herrn Oldesloe förmlich um ihre Hand anzuhalten.« Marike lächelte froh. »Darauf wartet sie schon seit Wochen.«
    »Ah, daher die Aufregung. Das ist also ein wichtiger Tag für sie.«
    »Allerdings«, antwortete die Jungfer. »Aber es ist noch ein Geheimnis.«
    »Ich schweige wie ein Grab«, versprach der Maler und verstummte dann wieder. Sonst äußerst redegewandt, war jetzt in seinem Kopf nur Leere. Dann schalt er sich einen Narren. »Oh, das Gemälde! Deswegen seid Ihr ja hier!«
    »Das bin ich«, erwiderte Marike mit einem Schmunzeln. Doch sie wich seinem Blick aus. Er reichte ihr eine Hand, um ihr über die Latte zu helfen, die er zwischen die Säulen geklemmt hatte. Die Jungfer raffte die Röcke und stieg hinüber, entblößte dabei allerdings kurz die Knöchel, die von den ledernen Schuhen und den Holztrippen nur ungenügend bedeckt waren. Was für ein delikater Anblick! »Wie dumm von mir«, murmelte er, denn er hätte das Stück Holz ja auch entfernen können. Doch die junge Frau hörte es offenbar gar nicht, sondern ging direkt auf das Gemälde zu.
    Notke fühlte sich heute zum zweiten Mal wie nackt bei der Betrachtung seines Werkes. »Es ist noch nicht fertig …«, murmelte er und strich sich verlegen das Haar zurück.
    Bernt Notke schwitzte Blut und Wasser, während die junge Frau das Gemälde stumm begutachtete und daran entlangging, wie Oldesloe es vor Kurzem getan hatte. Doch dem Maler fiel auf, dass sie sich zunächst nur die Figuren der Lebenden anschaute, die Todesdarstellungen schien sie zu meiden. Dann, endlich, machte sie den Mund auf.
    »Es ist düster.«
    »Zu düster«, erwiderte Notke gleich. »Die Farben wirken hier noch finsterer, als ich gedacht hatte. Ich werde das noch aufhellen.« Erst einen Herzschlag später verstand er. »Ihr meint nicht die Farben.«
    »Nein.« Dann schaute sie erstaunt zu ihm herüber. »Ihr habt Bischof Arnold verewigt.«
    »Ja, ich hatte die Ehre, ihn kurz kennenzulernen, bevor er starb.« Ein Gerücht besagte, der Bischof hätte seinem Leben vor etwa drei Wochen ein Ende gesetzt. Offiziell aber hatte ihm ein Novize Gift verabreicht.
    »Und Guardian Clemens.«
    Das war Notke peinlich, besonders nach Oldesloes lobenden Worten. Er hatte das Gesicht des Franziskaners gemalt, nachdem das Chaos um den Unfall abgeflaut war. »Er starb heute Morgen, kurz nachdem ich ihn kennengelernt habe, Jungfer. Ich war vermutlich der Letzte, der ihn lebend sah.«
    »Ich habe davon gehört«, sagte Marike bedrückt. »Er war ein guter Mann.«
    »Ihr kanntet ihn näher?«
    »Ein wenig. Er hat früher zusammen mit meiner Mutter bei der Armenfürsorge gearbeitet. Ich erinnere mich nicht mehr genau daran. Doch sein Gesicht ist gut gelungen, Meister Notke. Ihr verschönt die Menschen nicht.«
    »Gesichter müssen ehrlich sein, finde ich. Aber Euer Lob ehrt mich, Jungfer.«
    »Aber warum sind dann die Gesichter der anderen Ständevertreter so leer? Sie wirken wie Schatten ihrer selbst, als wären ihre Augen tot und hohl. Wie Totenschädel, die ohne Sinn und Verstand ins Leere glotzen …«
    Erstaunt musterte Notke sie und prüfte ihre Kritik dann an dem Gemälde. Sie hatte recht – die Gesichter der Lebenden wirkten beinahe alle schon so leer von Zielen und Gefühlen, wie Totenschädel. Der Maler räusperte sich unwohl. Sonst war er besonders auf seine ausdrucksvollen Gesichter stolz. »Tatsächlich. Ich habe mich schon gefragt, wie ich sie wohl noch menschlicher machen kann. Ein paar Lichtreflexe würden ihnen vielleicht guttun …«
    »Ihr habt sie schon aufgegeben. Aber sie sind noch nicht tot – sie kämpfen, weinen, schreien und zetern noch«, sprach Marike gefühlvoll, und dem Maler fuhr bei ihrem Tonfall ein Schrecken in die Glieder. Er nickte, denn genau das fehlte noch – das Menschliche. Er hatte nicht den Kampf gemalt, sondern die Niederlage.
    »Ihr seht die Dinge wie ein Maler«, meinte er anerkennend.
    Doch sie schüttelte den Kopf und schmunzelte. »Eher wie eine Geschichtenerzählerin, Meister.«
    Die junge Frau wandte ihre Augen nun den Hautskeletten zu. Notke

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