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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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fühlte, dass er hier eine Erklärung anbringen musste: »Die Todesdarstellungen werde ich noch stark überarbeiten müssen. Dem Herrn Oldesloe waren sie nicht grässlich genug.«
    Doch die Jungfrau wandte sich schnell ab. »Ich finde sie grässlich.«
    »Das tut mir leid, Jungfer.« Das Letzte, was er wollte, war, Marike in Angst zu versetzen. »Aber dann habe ich wohl einen Teil der Anforderungen bereits erfüllt.« Doch ihre Meinung war ihm wichtig. »Was findet Ihr daran denn so Furcht einflößend?« Sie stand jetzt ganz nah bei ihm, und Notke wurde sich dieser Nähe beinahe leibhaft bewusst.
    Die Jungfer suchte mit den Augen das Gemälde ab und zögerte, um ihre Worte zurechtzulegen. »Die Menschen sind wie Puppen – so als wären sie schon tot, wüssten es nur noch nicht. Und die Totenfiguren … sie sind kaum fassbar. Wie Schatten. Pater Martin – mein Beichtvater – sagt, manche Menschen haben seelenlose Augen. Ich wusste nicht, wie ich mir das vorstellen muss. Ich glaube, jetzt weiß ich es.« Sie schlang trotz der mittäglichen Sommertemperaturen fröstelnd die Arme um den Leib. Notke unterdrückte mühsam den Impuls, sie mit seinen Armen zu wärmen und zu beruhigen.
    »Habt Ihr jemals jemanden verloren, der Euch nahestand?«, fragte sie plötzlich
    »Ich – nein. Nicht direkt«, erwiderte er überrascht. »Natürlich gab es Todesfälle. Aber niemand, zu dem ich eine engere Bindung gehabt hätte.«
    »Dann seid Ihr gesegnet«, murmelte sie.
    Notke wollte die Frage lieber nicht erwidern. »Warum fragt Ihr?«
    »Man kann es sehen«, sprach sie leise. »Es ist keine Trauer in dem Bild.« Doch der Augenblick der Verletzbarkeit ging vorüber, und Marike wandte sich ihm zu. »Habt Ihr gar keine Furcht davor, den Tod abzubilden, Herr Notke?«
    »Meint Ihr, die sollte ich haben?«
    Die Jungfer hob die Schultern. »Ach, Ihr wisst doch, was man sagt. Man soll den Namen übler Dinge nicht aussprechen, um sie nicht auf sich aufmerksam zu machen. Wie muss es da erst mit einem Bild bestellt sein?«
    »Hm«, machte er dann. »Ich glaube nicht, dass der Tod nach Lübeck kommt, nur weil ich ihn hier darstelle. So schlecht sind die Figuren doch auch nicht, oder?«, unkte er.
    Da musste sie lächeln und schenkte ihm widerwillig einen belustigten Seitenblick. Ihr Blick wanderte zu seiner Brust, wo der Rosenkranz aus Bernstein hing. Sie schaute interessiert. »Euer Paternoster ist ein schönes Stück. Er sieht alt aus!«
    »Meine Mutter gab ihn mir«, erklärte er weich und ließ die Finger über die kleinen Kugeln gleiten.
    »Eure Mutter?« Notke merkte, dass sie ihn musterte. »Sie bedeutet Euch wohl viel?«
    »Oh ja. Sie ist eine tolle Frau. Sie weiß immer, was zu tun ist, und packt es an. Ohne sie wäre das Kontor meines Vaters kaum so erfolgreich gewesen. Man sagt, die Handelspartner meines Vaters hätten vor ihr gezittert. Früher fuhr sie wenn nötig sogar mit der Fracht, um Verhandlungen zu führen. Sogar als sie schwanger war.« Er lächelte schief. »Ich bin wegen einer Hafensperrung in Lassan geboren.«
    Marike sah ihn wehmütig an. »Wenn Ihr so sprecht, werde ich ganz neidisch.«
    »Das müsst Ihr nicht. Mein Bruder Jaspar und ich haben sie heimlich immer ›unseren Drachen‹ genannt. Sie führte ein strenges Regiment.«
    Als wäre Marike die Unterhaltung unangenehm, wies sie wieder auf den Rosenkranz. »Wusstet Ihr, dass er von einem Lübecker Paternostermaker gefertigt worden ist? Bernstein wird nur in zwei Städten der Hanse geschnitten, in Brügge und in Lübeck.« Sie trat näher. »Das hier ist eine Arbeit von Nikolaus Cuper. Er war vor Jahrzehnten Oldermann der Paternostermaker. Selbst heute schleift niemand die Steine so ebenmäßig wie er.«
    Notke sah auf seinen Rosenkranz herunter. »Nein, das wusste ich nicht. Sie sagte stets, er sei etwas Besonderes. Mutter stammt aus Wisby. Aber sie liebt Lübeck. Sie sagt, hier hätte sie sich immer wie zu Hause gefühlt. Der Paternoster war wohl ein Stück Heimat, wenn sie auf Reisen war.«
    »Es muss schlimm sein, so fern von der Heimat zu sein, von den Lieben«, meinte die junge Frau leise. »Ich lausche gerne den Geschichten aus der Ferne. Aber ich wüsste nicht, ob ich den Mut hätte, wirklich fortzugehen.«
    »Das müsst Ihr ja auch nicht, Jungfer Marike.«
    »Nein, da habt Ihr recht, Herr. Aber es ist schön zu wissen, dass man auch anderswo mit unseren Rosenkränzen betet.«
    Zögernd gestand Notke ein: »Der Paternoster ist ein Erinnerungsstück. Ich

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