Das Mädchen und der Schwarze Tod
merkwürdigem Winkel aus seinem Leibe, und das trübe Wasser begann, sich mit roten Schlieren zu färben. Der Ritter griff nach dem Schwert und versuchte es herauszuziehen, doch ein kräftiger Arm drückte es ihm gnadenlos ins Fleisch, bis die Spitze unter ihm auf den Holzboden des Zubers stieß.
Über sich sah Herr Evert nur Schwärze. Er wollte dem Tod so vieles sagen. Er wollte ihn überzeugen, später zurückzukommen, wenn er bereit wäre. Der Ritter blickte auf sein Leben zurück und erkannte mit schmerzhafter Gewissheit, dass der Herrgott nicht mit Wohlgefallen auf seine Taten sehen würde. Stets hatte er sich von Lust und Laune regieren lassen, während die Lehren der Priester doch Mitleid und Hilfsbereitschaft priesen. Wie ein Echo hörte er die Magd von vorhin, wie sie ihn anflehte, von ihr abzulassen. Eben noch hatte er sie verlacht, doch jetzt wünschte er, er hätte sie nicht entehrt. Das musste sich doch wiedergutmachen lassen! Hieß es nicht, der Herr vergebe den reuigen Sündern? Nun, er war reuig – und wie reuig er war!
Eines stand fest – Herr Evert brauchte einen Priester. Ohne Beichte, ohne Absolution, musste er die Last auf seiner Seele mit zum Richtstuhl des Herrn nehmen. Das bedeutete ewiges Fegefeuer oder den finsteren Schlund der Hölle!
Der Ritter öffnete den Mund, um zu sprechen. Doch nur ein merkwürdiges Krächzen kam aus seinem Hals. Er rang röchelnd nach Luft, doch nur Blut quoll ihm aus dem Mund. Als er rückwärts in seinem eigenen Lebenssaft zusammensackte, erkannte er mit vor Furcht geweiteten Augen, dass die Zeit der Buße vorbei war.
KAPITEL 3
B ernt Notke konnte ein geduldiger Mann sein. Das musste er auch, denn das Malen von großformatigen Bildern war ein langwieriger Vorgang, der viel Sorgfalt erforderte. Glücklicherweise nahm er die Dinge, die schiefgingen, mit einer gehörigen Portion Humor. In dem beinahe vollendeten Werk, an dem er gerade arbeitete, steckte monatelange Mühe, für die er bisher nur eine Anzahlung erhalten hatte. Von diesem Geld musste er nebenbei auch noch die beiden Buden in der Johannisstraße unterhalten, die ihm Heim und Werkstatt waren, sowie seinen Gesellen und die Gehilfen bezahlen. Und doch waren genau diese Menschen offenbar darauf aus, ihn zu ruinieren, denn ausgerechnet heute ging die Arbeit erschreckend langsam voran. Und das stellte sowohl die Geduld als auch den Humor von Bernt Notke auf eine harte Probe.
Der Maler strich sich das schulterlange braune Haar aus der Stirn. Als Auswärtiger, der noch nicht die Zulassung seines Meistertitels durch den Lübecker Rat besaß, musste er an Gehilfen nehmen, was er bekommen konnte. Mit dem jungen Sievert beschäftigte er einen begabten jungen Malergesellen, der gute Arbeit leistete – wenn er auch Notkes trockenen Humor selten verstand. Aber der schüchterne Jüngling hatte andererseits seine starken Seiten. Zum Beispiel blieb er bei dem stadtfremden Notke, obwohl nicht gesichert war, dass der Rat diese Gesellenzeit später einmal anerkennen würde. Streng genommen durfte Notke noch gar keinen Gesellen beschäftigen – aber nur ein Narr konnte davon ausgehen, dass dieses Monumentalgemälde von einem Mann allein fertiggestellt werden konnte. Auch Lehrlinge durfte Notke offiziell nicht ausbilden, und so musste er mit den Jungen vorliebnehmen, die sich als Gehilfen anwerben und vertrösten ließen.
Schon heute Morgen hatte sich die Arbeit wegen des Unfalls an der Ratsherrentür verzögert. Der arme Franziskaner, der ihn vor der Kirche angesprochen hatte, war von einer Ladung Weinfässer begraben worden. Zum Glück im Unglück war der Mann bald tot gewesen. Bernt Notke wusste nicht, ob er es für einen schlechten Scherz des Herrn oder einfach für pures Glück halten sollte, dass er nur wenige Augenblicke zuvor selbst noch an dieser Tür gestanden hatte. Wäre er nicht wieder in die Kirche gegangen, läge er jetzt tot neben dem armen Mönch. Und das machte selbst einen Mann wie Notke nachdenklich, der dem Treiben der Priester aus eigener Erfahrung skeptisch gegenüberstand. Jetzt aber küsste er seinen Rosenkranz aus Bernstein. Niemand hatte einen solchen Tod verdient. Dem Maler hielt es vor Augen, wie schnell das Leben zu Ende sein konnte und wie sinnlos manche Menschen von dieser Welt gingen.
Der Gesang einer Totenmesse hallte vom Hochchor gegen die letzten Takte einer Marienmesse in der Marientidenkapelle. Von irgendwo schallte ein Lachen herüber. Trotzdem erkannte Bernt das Geräusch
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