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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Geläut verfolgte sie bis nach Hause, dauerte noch an, als sie zu Bett ging, und läutete weiter bis in die tiefe Nacht hinein. Der Vater glaubte, dass sie zu Hause sicher wären vor der Pest. Doch die Wahrheit war, dass es für sie nirgendwo unsicherer wäre als in den eigenen vier Wänden. Der Kaufmannstochter stiegen die Tränen in die Augen. Der Vater würde auch die Tochter durch die Seuche verlieren. Doch Marike hatte es nicht übers Herz gebracht, ihm das zu sagen.
    Spät in der Nacht verstummten die Unheil verkündenden Glocken von Sankt Marien endlich und schenkten Marike ein wenig Frieden. Doch bevor sie einschlief, zog sie den Rosenkranz aus Bernsteinen aus dem Ärmel ihres Kleides und streifte ihn sich heimlich um den Hals, sodass er ihrem Herzen am nächsten war.

DER WUCHERER
    Das metallische Klingen von Münzen erfüllte in rhythmischem Takt die hohe hölzerne Kammer. Jedes Geldstück besaß je nach Metallart und Prägung seine ganz eigene Klang färbung – manche erinnerten eher an aufeinanderklackernde Bleistücke, andere besaßen einen satten, vollen Klang. Schillinge, Doppelschillinge, Lübecker Gulden – manche Leute liebten die Musik dieser Münzen. Nicht so Dietrat Pömer. Der Nürnberger besaß ein gesundes Misstrauen gegenüber den vielen Zahlungsmitteln und rühmte sich, selbst kleinste Fehlgewichte in den Legierungen erkennen zu können. Jetzt biss er auf eine Münze, um den Goldgehalt zu überprüfen, und nickte zufrieden. Er hatte es gewusst: Das Metall war zu hart, die Münze zu wenig wert.
    Für Pömer war Geld einfach nur Geld. Man brauchte es für ein annehmliches Leben, gab man ihm jedoch eine zu große Bedeutung, verdarb es einem die Seele. Daher hatte Wucherei noch vor etwas mehr als einem Jahrhundert als Sünde gegolten, die mit Raub, Mord und Hurerei auf einer Stufe stand. Wie sagte Psalm 14,5 – »Im Hause des Herrn wird nur der wohnen, der sein Geld nicht auf Wucher gibt« -, doch heutzutage waren diese abergläubischen Zeiten glücklicherweise vorbei. Die Kirche hatte inzwischen verlautbart, es gäbe ein Fegefeuer, in dem man sich nach dem Tode noch von seinen Sünden reinigen konnte. Wenn man also nicht direkt zur Hölle fuhr, dann konnte man sich durch eine schlaue Investition in Vikarien, Seelmessen und Bruderschaften, die das eigene Andenken hochhielten, daraus befreien. Und das hieß, dass das Geld auch im Jenseits den Weg ebnete.
    Der hagere und schmale Pömer blickte durch seine Augengläser kritisch auf die Stapel an Münzen, die sich vor ihm auf dem Tisch aufreihten. In Lübeck hielt sich noch in Grenzen, was in vielen Städten bereits um sich griff: die Verschlechterung der Münzqualität. Edelmetall war knapp und daher teuer, und so wurde den Münzen immer weniger davon beigegeben. Für den Adel war dies ein legitimes Mittel, seine Kriege zu finanzieren, doch die Folgen für Wirtschaft und Handel waren katastrophal.
    Auch die Pest war eine Katastrophe. Je mehr Menschen starben, desto weniger Geld kam in Umlauf und desto mehr Häuser und Grundstücke kamen herrenlos auf den Markt. Die Preise fielen ins Bodenlose, denn die Leute akzeptierten jeden noch so geringen Preis. Wer eine gewisse Risikofreude an den Tag legte, konnte dieser Tage teure Häuser und Grundstücke sowie Renten auf selbige fast umsonst erstehen. Dies war auch der Anlass für die Zusammenkunft mit Oldesloe und Pertzeval gewesen. Pömer sollte für sie leer stehende Häuser kaufen.
    Die beiden Kaufherren hofften offenbar nicht nur, dass die Pest schnell vorüberziehen würde, sondern auch darauf, dass sie beide sie überleben würden. Mit welchen Gebeten sie das bewerkstelligen wollten, wusste Dietrat Pömer nicht; für ihn zählte allein, dass die eingezahlte Summe stimmte. Und um das zu überprüfen, ging er jeden Münzstapel noch einmal sorg fältig durch, der ihm heute im Hause Pertzeval von Oldesloe überreicht worden war. Der bullige Ratsherr war der Verhandlungsführer gewesen, Pertzeval schien mehr ein skeptischer Geldgeber und Teilhaber zu sein, der jede Kalkulation seines Kompagnons noch einmal durchrechnete. Doch jeder Kaufmann tat gut daran, nichts für bare Münze zu nehmen, was er nicht selbst geprüft hatte.
    Während die vielen unterschiedlich geformten, schlecht geprägten und verbeulten Münzen durch seine Finger wanderten und er ungewöhnlich viele davon nach einem prüfenden Biss als zu wertlos befand und aussortierte, griff der schmale Mann zum Bierkrug. Ein Brennen im Mund

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