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Das Mädchen und der Schwarze Tod

Das Mädchen und der Schwarze Tod

Titel: Das Mädchen und der Schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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doppelflügeligen Portals in die Kapelle hinein war verriegelt. Sie öffnete sich nach innen, und der Strom der Menschen verhinderte, dass man den zweiten Flügel aufstemmen konnte. Viele sahen die Menschentraube, flohen in die Kapellen zwischen den Strebepfeilern und zogen die schmiedeeisernen Gitter hinter sich zu. Andere rempelten rücksichtslos gegen Menschen und Altäre, um so schnell wie möglich an dem verwirrten Schmied vorbei durch die Herrentür in die Süderhalle zu kommen. Aus der Heiligen-Kreuz-Kapelle im Nordturm liefen ob des Geschreis weitere Handelsfahrer heraus und fielen in die Verwirrung ein.
    Marike wusste kaum, wie ihr geschah, da war das Hauptschiff bis auf wenige Personen leer, während sich vor den Eingängen Trauben von Flüchtigen sammelten und schoben. Sie sah sich nach ihrem Vater und Bernt Notke um, doch das Chaos war überwältigend. Sie betete, dass beide es sicher nach draußen geschafft hätten. Sie selbst trat nun langsam den Rückzug an, um den Schmied, dessen wechselhafte Aufmerksamkeit immer noch auf sie gerichtet war, nicht noch aufzuscheuchen.
    »Marike!« Sie hörte die heisere Stimme ihres Vaters. Hinrich hatte sich inmitten der Menge an der Wand der Sankt-AnnenKapelle vor den gebrechlichen alten Mann gestellt, um ihn vor den panischen Menschen zu schützen. Als sich eine Lücke bot, schnappte der Knecht seinen Herrn am Kragen und zog ihn zur Tür. Andere Menschen, die keinen solchen Beschützer gehabt hatten, wurden niedergetrampelt.
    Marike war erleichtert, den Vater in Sicherheit zu wissen. Sie machte kehrt, um schnell zum Ausgang in der Totentanzkapelle zu laufen. Sie verhielt noch in der Bewegung, denn vor ihr stand nun in kaum vier Ellen Entfernung Schmied Lynow. Dem Schmied stand der Schweiß auf der fieberheißen Stirn, und er taumelte, die Hand nach Marike ausstreckend. Er stapfte fahrig einen Schritt auf sie zu, stützte sich dann jedoch erschöpft an einer Säule ab. Die Kaufmannstochter wich unwillkürlich zurück und bekreuzigte sich.
    »Du …«, stöhnte der muskulöse Mann und schob sein Gewicht zurück auf die Füße, um sich vorwärtszuschleppen. »Du!«
    »Meister Lynow …«, keuchte Marike, bestürzt darüber, dass dieser todgeweihte Mann nichts Besseres zu tun hatte, als ihr übelzuwollen. Ihr, die sie noch vor wenigen Tagen sein Leben gerettet hatte!
    »Meister Lynow, lasst ab und bereut! Ihr könnt doch nicht...« Sie stieß mit dem Rücken an den Strebepfeiler hinter ihr. Nun saß sie in der Falle.
    »Totentanz … du musst … den Totentanz …«, doch weiter kam der Schmied nicht. Ein dumpfes Geräusch, und der starke Mann fiel schlaff zu Boden wie ein angestochener Sack Weizen. Hinter ihm stand Pater Martin, in der Hand die Holzbibel vom Elisabeth-Altar, mit der er den Mann gerade niedergeschlagen hatte.
    »Komm!«, schnaufte der Priester. Er warf das heilige Buch fort, reichte Marike eine Hand und zog sie schnell an Lynow vorbei. Gemeinsam flüchteten sie durch die Totentanzkapelle und hinaus ins Freie. Draußen erwartete sie der brütende Hochsommer mit hellem Sonnenschein. Während Martin hinter ihnen die Tür kraftvoll zuschlug, ließ Marike sich auf die Wiese hinter der Kirche fallen, denn ihr Herz raste und ihre Beine ließen sie im Stich. Dann faltete sie die Hände zu einem Dankgebet.
    »Geht es dir gut?«, fragte Pater Martin, nachdem er einige lange Augenblicke verschnauft hatte. Marike nickte nur. Als sie langsam wieder zu Atem kam, traf sie die Erkenntnis, wie knapp sie gerade dem Tod entgangen war: Sie war aus der Kirche entkommen, ohne dass der Mann sie berührt hatte. Sie zitterte am ganzen Körper.
    »Hat Meister Notke es gut aus der Kirche geschafft?«, fragte sie dann.
    »Ich weiß nicht, Kind. Ich denke schon.« Dann sammelte er sich und nahm ihre Hand. »Hast du von Bruder Anselmus gehört?«
    »Ja«, hauchte Marike und drückte seine Finger. Wer auch immer das getan hatte, der Schuldige würde dafür büßen müssen. »Warum tut jemand so etwas?«
    »Wir werden es herausfinden«, meinte der weißhaarige Priester grimmig.
    »Pater«, fragte sie mit dünner Stimme, »das ist unsere Schuld, nicht wahr?«
    Martin nickte düster. »Ich denke schon. Aber wir werden seinen Mörder fassen und der Gerechtigkeit Gottes übergeben. Und dann werden wir den Herrn um Vergebung bitten.«
    »Ja«, hauchte sie. Dann erinnerte sie sich an Lynows letzte Worte. »Lynow wollte mir noch etwas sagen, bevor Ihr ihn niedergeschlagen habt, doch er kam

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