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Das Mädchen und die Herzogin

Das Mädchen und die Herzogin

Titel: Das Mädchen und die Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Nacken, und zu den körperlichen Qualen der Wunden und der unerträglichen Hitze war die seelische Pein hinzugekommen: Wen von ihnen würde es am härtesten treffen, wem würde sich das Schicksal gnädig erweisen? Denn dass ihr Herzog weit über tausend seiner Untertanen allein im Remstal dem Tode überantworten würde, das konnte und wollte Vitus nicht glauben.
    Und so hatte er gezittert, als sein Name nicht unter den bloßen Mitläufern genannt wurde, und hatte geweint vor Erleichterung, nein: geheult wie ein altes Waschweib, als er auch nicht zu den Todgeweihten gehörte. Irgendetwas dazwischen war ihm vorbestimmt, aber er war jung genug, dass er alles hinnehmen würde, sofern er nur eines Tages Marie wiedersehen durfte. Auf die Knie war er gesunken, aber nicht aus Dankbarkeit, sondern aus Schwäche und weil sich alles vor ihm zu drehen begann. Mit einer Inbrunst wie nie zuvor hatte er für seine Gefährten gebetet, die zur Richtstätte gezerrt wurden, laut gebetet und mit geschlossenen Augen, die Hände gegen die Ohren gepresst, denn er wollte nicht sehen noch hören, wie die Köpfe fielen. In seiner Verzweiflung hatte er erst spät den Tumult unterm Baldachin wahrgenommen, eigentlich erst dann, als man die leblose Herzogin davontrug. Seltsam, einen solchen Schwächeanfall hätte er der Herzogin gar nicht zugetraut. So willensstark und kräftig wirkte sie nach außen, zudem sagten die Leute ihr ein schroffes, aufbrausendes Wesen nach.
    Wie ein Himmelbett war ihm an diesem Nachmittag seine verdreckte Strohschütte erschienen, und zum ersten Mal seit seiner Verhaftung hatte er des Nachts ein paar Stunden Schlaf gefunden. Denn er, Vitus Beck, war dem Tod nochmal von der Schippe gesprungen.
    Er musste noch einmal eingeschlafen sein, denn ein grober Tritt in die Seite ließ ihn jetzt auffahren. Die Kerkertür stand offen, seine Mitgefangenen hatten sich bereits erhoben. Sie zählten bereits bedeutend weniger als gestern, und als sich draußen auf dem Marktplatz alle sammelten, von den anderen Gefängnissen und Stadttürmen her, da erkannte Vitus, dass tatsächlich nur noch die als Rädelsführer geahndeten übrig waren. All die anderen hatte man bereits freigelassen, undHans Vollmar, Bastian Schwarz, Jörglin Krämer waren wohl schon auf dem Kirchhof verscharrt. Gott mochte ihnen eine baldige Auferstehung schenken.
    Vitus hielt Ausschau nach Enderlin, in der kurzen trügerischen Hoffnung, dass man seinen besten Freund hatte laufen lassen. Aber nein, dort kam er angehumpelt, mit dem letzten Trupp, der im Schuldturm eingelegen war. Sein Gesicht war bös zerschunden. Sie winkten sich mit ihren gefesselten Händen zu, dann band man sie in einer langen Reihe aneinander, dreiundvierzig Männer, von denen einige noch halbe Knaben waren, die sechs zum Tode Verurteilten vorneweg. Einige mitleidige Seelen reichten ihnen zu trinken und ein paar Brotbrocken, dann setzten sie sich in Marsch.
    Auf dem Wasen hatten sich bereits die Zuschauer versammelt, zahlreicher noch als am Vortag, und Vitus entdeckte augenblicklich seine Familie. Der Anblick seiner Mutter und seiner sämtlichen Schwestern stach ihm geradewegs ins Herz. Er schämte sich unendlich. Das Gesicht seines Vaters war zu einer grimmigen Maske erstarrt, und Vitus schossen die Tränen in die Augen. Rose winkte ihm zaghaft zu und versuchte zu lächeln, da waren sie auch schon aus seinem Blickfeld verschwunden. Er betete zu Gott, dass Marie nicht unter der Menge war. Niemals durfte sie ihn so sehen, in diesem Zustand.
    Die nächsten Stunden ließ Vitus über sich ergehen wie einen Albtraum, von dem man wusste, dass er trotz aller Grausamkeiten ein Ende finden würde. Er hörte weder die Worte des Herzogs noch des Pfaffen, sah nicht hin, als die abgeschlagenen Köpfe über den Karrenboden polterten, hörte weder das Schreien noch Aufstöhnen der Zuschauer, sah nicht, dass es nach den Hinrichtungen mit den Leibes- und Ehrenstrafen fortging, und hob erst wieder den Blick, als der Name EnderlinSchmid aufgerufen wurde. Vor dem schwarzen Karren flackerte jetzt ein Feuer, einer der Henkersknechte hielt bereits das Eisen in die Glut. Zwei Knechte lösten seinem Freund die Fessel, um ihm dann mit eisernem Griff die Arme nach hinten zu verdrehen, ein dritter riss ihm Kopf und Haar in den Nacken, damit die Stirn frei in der Luft lag. Vitus glaubte das Zischen zu hören, als sich das Eisen in die Stirn brannte und der Gestank verbrannten Fleisches bis zu ihm herüberdrang. Da hatte

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